Advent – die Sehnsucht der Herzen
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20. Februar 2020Reformation. Darunter verstehen viele die Geschehnisse vor 500 Jahren. Doch kön-nen Kirchen und Gemeinschaften, die sich im weitesten Sinne als Kinder der Reforma-tion betrachten, diese als eine erfüllte Aufgabe verbuchen? Wie groß ist der Wille, immer noch reformatorisch zu wirken?
Im Jubiläumsjahr der Reformation lohnt es sich, die historische Leistung von 1517 als Parallelverschiebung ins Heute zu versetzen.
Der Lutherhype erfasst das Land: Lutherbier, Lutherbrot, Luther als Playmobilfigur und Teddy, Lutherbadeente, Luther auf der Tasse, als Lutherkeks und -bonbon, sogar Luthertomaten.[1] „Geluthert“ wird in Museen und im Schultheater. Ein Denkmal hier, eine Briefmarke dort, ein Einfahrtsschild in Sachsen-Anhalt: „Ursprungsland der Reformation“. Jeder ist fröhlich, ausgelassen, geschichtsinformiert und stolz sowieso.
Was genau werten Theologen und Historiker als Leistung der Reformatoren?
Die Sichtweisen reichen von der Förderung deutscher Kultur und Sprache über pädagogische Herausforderungen bis hin zu emanzipatorischen Werten. Als habe der große Reformator als Erfinder gewirkt, würdigt die säkulare wie die kirchliche Welt Luther quasi als Patentinhaber neuer, fortschrittlicher Ideen. Die grundlegende Leistung Luthers klingt zu simpel: Er las die Bibel und nahm Gott beim Wort. „In der Bibel spricht Gott wie zu einem Freunde.“ erkannte Luther.[2]
Wenn Luther etwas erfunden haben sollte, dann das Großreinemachen. Er entstaubte die Bibel, öffnete die Seiten wie lange vergessene Schubladen und hob die verborgenen Schätze. Die Botschaft der Bibel polierte Luther nicht. Das ist weder nötig, denn sie glänzt ohnehin in einem wunderbaren Licht, noch ist es möglich, weil Gottes Wort vollkommen rein ist. Was Menschen aus der Botschaft machten, mit welchen Zusätzen und Auslassungen sie das geistliche Lehrgebäude ihrer Kirche bauten, das bedurfte einer gewaltigen Aufräum- und Putzaktion. Nichts anderes war die Reformation. Erneuert, wiederhergestellt und zum ursprünglichen Glanz verholfen, wollte Luther seine Heimatkirche, die katholische Kirche, allein auf dem Fundament der Bibel gründen.
Jeder hat schon die ernüchternde Erfahrung gemacht, dass bald nach einem Hausputz die Staubkörnchen ihre altbekannten Plätze wieder einnehmen. Ordnung ist nur so lange Ordnung, wie gegen das Chaos angekämpft wird. Das Großreinemachen der Reformation folgt diesem simplen Gesetz: Das Gute zu erhalten, braucht beständige Pflege. Nur eine gewisse Zeit erfreute sich die junge protestantische Kirche ihrer dem damaligen Erkenntnisstand entsprechenden Reinheit des Bibelwortes.
Heute, 500 Jahre nach der Reformation, müsste die protestantische Kirche zurückschauen können auf andauernde Arbeit im Sinne der reformatorischen Grundsätze: Allein die Bibel. Allein die Gnade. Allein der Glaube. Allein Christus.
Die Katholische Kirche ist seit 500 Jahren eingeladen, nachzuholen, was sie zu Luthers Zeiten verweigerte: die Rückkehr zum reinen biblischen Fundament.
Die reformatorischen Grundsätze
Einem Ruf nach Reformation könnte entgegnet werden: „Wir sind gut so, wie wir sind!“. Deshalb braucht Reformation, also die Wiederherstellung oder Erneuerung, einen Maßstab. Wie Jesus oft Menschen und sogar dem Teufel entgegnete: „Es steht geschrieben …“, so ging es auch den Reformatoren allein um das Wort Gottes. Die Grundsätze der Reformation sind nicht nur durch die Jahrhunderte gültig geblieben, sondern waren schon vor Luther fester Bestandteil des biblischen Glaubens.
Sola skriptura. – Allein die Heilige Schrift. „Alle Worte Gottes sind durchläutert; er ist ein Schild denen, die auf ihn trauen. Tu nichts zu seinen Worten hinzu …“ Sprüche 30,5.6.
„Das Wort Gottes ist frei, es will nicht Fesseln dulden durch Vorschriften der Menschen.“ Martin Luther[3]
Sola gratia. – Allein die Gnade. „… und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.“ Römer 3,24
„Mit unserer Macht ist nichts getan.“ Martin Luther[4]
Sola fide. – Allein durch den Glauben. „Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht Habakuk 2,4 : ´Der Gerechte wird aus Glauben leben.´“ Römer 1,17
„Glaube ist ein Geschenk Gottes in unserem Herzen.“ Martin Luther[5]
Solus Christus. – Allein Christus. „Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben …“ 1.Johannes 5,12
„Wer Christus hat, hat genug. …. Halt dich nur an Christum. Außer Christus gibt es keine Erkenntnis Gottes.“[6] „Wie so viele Bibelworte, so konnte der Reformator also auch das Wort vom Kreuz erst dann ganz verstehen und sich innerlich zu eigen machen, als er an Römer 1,17 [7] erkannt hatte, dass jene in der katholischen Kirche seit mehr als tausend Jahren heimische Anschauung von Gottes Wesen und Wirken dem Evangelium nicht gemäß sei.“[8]
Welchen reformatorischen Stand nehmen die großen Kirchen heute ein?
Im Zeitalter der Ökumene bemüht sich die evangelische Kirche um Annäherung an den Katholizismus. Da drängt sich dem Beobachter die Frage auf: Hat sich das Papsttum geändert und sind die Kritikpunkte der Reformatoren bearbeitet worden?
Ein Vergleich der reformatorischen Lehren mit der aktuellen katholischen Praxis kann helfen, auf diese wichtige Frage eine Antwort zu finden. Einige wesentliche Punkte seien hier angeführt ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.
1. Das Papstamt
Das Glaubensgebäude des Katholizismus ist mit dem Amt des Papstes untrennbar verbunden. „Der Papst gilt in der katholischen Kirche als oberster Herr der Gesamtkirche und Stellvertreter Christi auf Erden.“[9] „Luther war zu der Überzeugung gekommen, dass sein höchster Herr Christus sei und nicht ein Mensch, … ̗Ich weiß nicht, ob der Papst der Antichrist ist oder ein Apostel des Antichrist.´“[10] sagte der Reformator. Im Blick auf den Papst erkannte Luther: „Die Christenheit hat kein Haupt, kann auch keines mehr haben als den einzigen Sohn Gottes, Jesus Christus. Der hat Siegel und Brief, dass er nicht irren kann, und ist weder an Rom, noch an irgendeinen Ort gebunden.“[11]
Luther rüttelte auch an der Rechtsgrundlage des Papsttums. Die Urkunde, wonach Kaiser Konstantin 317, nachdem er das Christentum zur Staatsreligion machte, das Abendland Papst Silvester geschenkt habe, ist im 8. Jhd. gefälscht worden, wie Nikolaus von Kues und Lorenzo Valla Mitte des 15. Jdt. nachwiesen. Über Jahrhunderte war diese „Konstantinische Schenkung“ Grundgesetz des Vatikan. „Mit der Urkunde begründete das Papsttum seinen Anspruch auf weltliche Herrschaft, die bis heute im Vatikanstaat Realität ist.“[12] Luther „fühlte sich erneut in seiner Überzeugung bestätigt, dass der Antichrist in Rom herrsche. Lügen, Verwirrung, Streit waren sein Kennzeichen, und hatte je eine Lüge so viel Unheil angerichtet wie diese von der ,Schenkung´ des Abendlandes an den Papst?“[13]
Das ökumenische Bemühen um die Einheit aller Christen klingt harmonisch und suggeriert, die Kirchen kommen sich lehrmäßig entgegen. Doch von katholischer Seite wird verkündet: „Unabdingbar für das katholische Verständnis von Ökumene bleibt aber der katholische Begriff der Kirche, einschließlich des päpstlichen Primats …“[14]„Deshalb erklären…wir, dass es für jedes menschliche Geschöpf ganz und gar heilsnotwendig ist, dem römischen Papst untertan zu sein.“ (Bonifaz VIII, Bulle Unam Sanctam, 1302)[15] Die reformatorische Erkenntnis aus dem Bibelstudium lautet hingehen: „Halt dich nur an Christum. Außer Christus gibt es keine Erkenntnis Gottes.“[16] „Denn wir müssen Christum […] ein Werk Gottes sein lassen, durch welches wir zu Gott kommen und alle Zuversicht in ihm setzen auf das Allereinigste und ja zusehen, dass wir nicht daneben auf die Mutter Gottes oder irgend einen Heiligen die Zuversicht teilen und einen Abgott in unsern Herzen aufrichten.“ M. Luther[17]
Von manchen Kritikpunkten könnte gedacht werden, sie seien überwunden, z.B. der der päpstlichen Unfehlbarkeit. „Das Dogma (= die Lehre, der Lehrsatz) von der Unfehlbarkeit des Papstes wurde auf dem I. Vatikanischen Konzil (1869/70) als verbindliche Lehre der katholischen Kirche formuliert.“[18] In einer Sonderausgabe der katholischen Kirche sind die Grundgedanken des 1. Vatikanischen Konzils beschrieben: „1. Die römische Kirche ist vom Herrn allein gegründet worden. […] 9. Der Papst ist der einzige Mensch, dem alle Fürsten die Füße küssen. 10. Allein sein Name soll in allen Kirchen genannt werden. 11. Dieser Name ist einzigartig auf der Welt. […] 18. Sein Urteilsspruch darf von niemandem widerrufen werden und er selbst kann als einziger die Urteile aller widerrufen. 19. Er darf von niemandem gerichtet werden. […]“[19]
„Das Konzil von Trient […] hält ausdrücklich fest, dass ,niemand wagen soll, auf eigene Klugheit gestützt in Fragen des Glaubens und der Sitten […] die heilige Schrift nach den eigenen Ansichten zu verdrehen´ und gegen die kirchliche Lehre zu wenden, da es die Aufgabe der Kirche ist, ,über den wahren Sinn und die Auslegung der heiligen Schriften zu urteilen.´“[20] Für die Reformatoren war der Papst schlichtweg ein Mensch und was die Autorität des Klerus betrifft, gelte das Bibelwort vom „Priestertum aller Gläubigen“ 1. Petrus 2,5 .
2. Marien- und Heiligenanbetung und – verehrung
„Die katholische Kirche verehrt Heilige als besondere Mittler zwischen den Menschen und Gott.“[21] Wo Papst Franziskus seinen Gläubigen zuruft: „Möge die jungfräuliche Mutter uns allen Beschützerin und Fürsprecherin sein.“[22], sieht der reformierte Glaube keinen Bedarf an Vermittlern zu Gott, die die Bibel nicht kennt: „Die Anrufung Marias um Fürsprache lehnt Luther […] als unbiblisch ab. Sie rückt dafür als Mitchristin und Glaubende ganz an unsere Seite. Das führt Luther auch dazu, ihre Sündlosigkeit […] zu bestreiten.“ H. Leiner[23] Jesus Christus sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Johannes 14,6
3. Rechtfertigungslehre
Luthers Befreiung im Glauben war die Erkenntnis aus Römer 1,17 : „Der Gerechte wird aus Glauben leben.“ Er schrieb: „ ̗Werk Gottes ist das Werk, das Gott wirkt. Kraft Gottes ist die Kraft, die er gibt. Weisheit Gottes ist die Weisheit, durch die er weise macht.´ Alle biblischen Begriffe wurden von Luther neu durchdacht und verstanden.“[24] Auf der Internetseite der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland, Anm.) ist hierzu zu lesen: „Wir sind Gott recht, ohne des Gesetzes Werke allein aus Glauben´. Weil dieses Gott-recht-Sein ein an keine Bedingung geknüpftes Geschenk Gottes ist, spricht man von der Rechtfertigung allein aus Gnade. Diese bedingungslose Annahme durch Gott hat sich uns Christen durch die Verkündigung von Kreuz und die Auferstehung Jesu von Nazareth erschlossen. Deshalb sind wir gerechtfertigt allein aus Gnade durch den Glauben um Jesu Christi willen.“[25]
„Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.“ Römer 3,21-24
„ … das Konzil von Trient [hat], entgegen der Auffassung der Reformatoren, gelehrt, dass die Rechtfertigungsgnade nicht in allen dem Grade nach die gleiche sei. Das Maß der Gnade ist einmal die Freiheit Gottes in der Austeilung seiner Gnaden und zum anderen wird es bestimmt durch unsere Mitwirkung mit seiner Gnade in gerechten Werken.“[26]
In der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen Kirche“ vom 31.10.1999 wird ein Bild der Annäherung des Verständnisses gezeichnet. Beschrieben wird „ein hohes Maß an gemeinsamer Ausrichtung und gemeinsamem Urteil.“ Die Rede ist von „einem Konsens der Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre“ und dass es keinen Anlass mehr für Lehrverurteilungen gebe. Der Aufruf lautet, „ die trennenden Fragen und Verurteilungen zu überprüfen und in einem neuen Licht zu sehen.“[27] |
Unter der Feststellung: „Die Lehre von der Rechtfertigung hatte für die lutherische Reformation des 16. Jahrhunderts zentrale Bedeutung.“[28] und unter Berücksichtigung des Selbstverständnisses des Papsttums: „Die römische Kirche hat nie geirrt und wird nach dem Zeugnis der Schrift nie irren.“[29] stellt sich die Frage: Welche Seite hat ihre Überzeugung aufgegeben?
4. Keine gekaufte Erlösung – kein Ablasshandel
Reformation – da sehen viele Menschen Luther mit Hammer und Nägeln die 95 Thesen an die Wittenberger Schlosskirchentür schlagen. „Wer glaubt, durch einen Ablassbrief seines Heils gewiss sein zu können, wird auf ewig mit seinen Lehrmeistern verdammt werden.“ M. Luther[30] Was so mittelalterlich anmutet, ist dennoch aktuelle katholische Praxis: „Der Ablass ist der vor Gott gültige Nachlass zeitlicher Strafen, die hier oder im Jenseits noch abzubüßen sind.“[31] „Vom 1. bis zum 8. November kann täglich einmal ein vollkommener Ablass für die Verstorbenen gewonnen werden.“[32]
5. Abendmahlsverständnis
Theologisch und glaubenspraktisch gehen das katholische und das evangelische Verständnis weiter auseinander als die geselligen Ökumeneveranstaltungen erkennen lassen. Allgemein bekannt sind die Differenzen im Abendmahlsverständnis. „Nach lutherischer Auffassung ist Christus in Brot und Wein körperlich zugegen (Realpräsenz), während nach reformiertem Verständnis das Abendmahl lediglich als Zeichen (Symbol) der Gegenwart Gottes zu sehen ist.“[33] Katholiken verbinden die Eucharistiefeier mit der Transsubstantiationslehre, „ […] die geheimnisvolle Wandlung (oder: Konsekration) von Brot und Wein zu Leib und Blut Christi.“[34]
6. Beichte
Die „Beichte konzentrierte Luther auf das Wesentliche: das Bekenntnis der Schuld und die Zusage der Vergebung. Aus einem Zwangsinstrument der Kirche wurde ein befreiendes Angebot Gottes.“[35] Im katholischen Glauben sind sieben Sakramente bekannt. „Das Bußsakrament – die Beichte – schenkt dem getauften Christen, der seine Schuld bereut und sie vor dem Priester bekennt, die Vergebung seiner Sünden.“[36]
7. Zölibat
Zuletzt sei das Zölibat (Ehelosigkeit) für Priester erwähnt, eine Praxis, die auch innerhalb der katholischen Kirche für Diskussionen und Ruf nach Reformen sorgt. „Papst Johannes Paul II. bekräftigte das Zölibat mehrfach. Sein Nachfolger Benedikt XVI. hält das Zölibat für einen ,heiligen´ Wert der Kirche. Er nannte es […] ein Zeichen der völligen Hingabe an Gott. Die Kirche müsse an dieser Besonderheit des Priesteramtes festhalten.“[37] Luther wendet sich gegen das Zölibat, wieder mit drastischen Hinweisen auf die tatsächlichen Zustände: „Ohnehin leben die Priester mit Weibern zusammen, der Papst lässt es zu, er verbietet nur die Ehe …“[38]
Weiteren Reformbedarf sah Luther z.B. beim Bestätigungswesen der Bischöfe, beim Klosterwesen, Gerichtswesen und dem „Bettelunfug“ statt einer Armenfürsorge. Aufheben wollte er den Bann, die allzu vielen Festtage, die Wallfahrten und das Aufrichten „neuer Heiliger“.[39]
Der Wunsch nach Einheit der Kirchen
In Schweden drückten die beiden großen christlichen Kirchen aus, wie sie sich im reformatorischen Licht sehen. Vertreter des Lutherischen Weltbundes (LWB) und der römisch-katholischen Kirche gedachten des Beginns der Reformation vor 500 Jahren. Das Treffen am 31. Oktober 2016 in Lund war erfüllt vom gemeinsamen Wunsch der vollen Einheit der Kirchen. Die gemeinsame Erklärung, „die Eucharistie in einem Mahl zu empfangen als konkreten Ausdruck der vollen Einheit“, unterzeichneten Papst Franziskus und der Präsident des LWB, Munib Yaunan. Auf zwei Seiten bezeugen beide Kirchenvertreter die Freude am ökumenischen Dialog und den Dank für die „geistlichen und theologischen Gaben“. „Wir verpflichten uns, in der Gemeinschaft, die in der Taufe wurzelt, weiter zu wachsen, indem wir uns bemühen, die verbleibenden Hindernisse zu beseitigen, die uns davon abhalten, die volle Einheit zu erlangen.“[40]
Hier wird also von „verbleibenden Hindernissen“ auf dem Weg zur vollen Einheit gesprochen. Bundestagspräsident Norbert Lammert, Mitunterzeichner der Resolution „Ökumene jetzt“ von 2012 behauptete hingegen: „Das, was die Überwindung der Spaltung verhindert, sind nicht Glaubensunterschiede, sondern das Selbstbeharrungsbedürfnis der Institutionen. Das, was die Kirchenspaltung damals verursacht hat, ist im Laufe der Zeit schlicht erledigt und wir halten sie aufrecht.“[41]
Verbindet die Kirchen trotz aller Unterschiede, wie oben beschrieben, nicht viel mehr als sie trennt? Was könnte der kleinste gemeinsame Nenner sein, in dem sich die verschiedenen Gläubigen treffen? Sollte es für alle, die sich Christen nennen, nicht Christus, der Herr und Erlöser, sein?
Der katholische Pfarrer Konrad Sterninger sagt: „Wir haben mit den Protestanten nicht den gemeinsamen Christus. Denn unser Christus ist der Christus des Altarsakraments, des Bußsakraments und der Christus, der Petrus als oberster Hirte eingesetzt hat.“[42]
Über Luthers Bibelverständnis heißt es hingegen: „Man kann auch ohne Sakrament selig werden, wenn man glaubt. Damit wurde das gesamte Lehrgebäude der Kirche in Frage gestellt, … Luthers gefährlichster Angriff richtete sich gegen die Messe, als das Hauptstück des Kultus. Sie sei kein ,Opfer´, kein bloßes ,Objekt des Glaubens, wie sie sagen´, wobei Christus gewissermaßen zum ,Opfertier´ gemacht werde, ein Opfer, das der Priester erst vollbringt und allein vollbringen kann: Luther verlangt die unmittelbare Mitwirkung des Kommunikanten, der dem Wort der Verheißung glaubt; erst damit wird es kräftig. […] Luther lehnt das gesamte Zeremonienwesen der Kirche ab, […] Die Kirche darf nicht beanspruchen, über die Worte der Schrift hinauszugehen und neue Lehren und Bräuche zu erfinden, die sie dann für verbindlich erklärt.“[43]
Das Kernproblem und seine Auswirkungen
Mit dem Ereignis der Reformation vor 500 Jahren können Theologen, Politiker, Werbestrategen oder jeder Gläubige eine Menge machen: würdigen, feiern, interpretieren, wegdiskutieren, belächeln oder für verschiedene Ziele nutzen. Doch was Luther und die anderen Reformatoren in Gang setzten, ist kein statisches Element der Geschichte. Reformation will erlebt und gelebt werden. Wäre kein reformatorisches Wirken mehr notwendig, hätten die Kirchen und Glaubensgemeinschaften den Zustand der Sündlosigkeit und Vollkommenheit erreicht.
Der Zustand der Geistlichkeit vor 500 Jahren: „Doktor Martin Luther sagte zu Eisleben kurz vor seinem Tode, dass auf dem Reichtage zu Augsburg Anno 1530 Bischof Albrecht von Mainz einmal in der Bibel gelesen hätte; da kommt einer seiner Räte dazu und spricht: ,Gnädigster Kurfürst und Herr, was machet euer kurfürstliche Gnade mit diesem Buch?´ Da hat er geantwortet: ,Ich weiß, nicht, was es für ein Buch ist, denn alles, was nur darinnen ist, das ist gegen uns.´“[44]
500 Jahre sind kein Ruhekissen einer längst überstandenen Reformation. Nach dieser langen Zeitspanne spricht ein evangelischer Pfarrer, Olaf Latzel, von einem Aufgabenfeld, das er „Pfarrermission“ nennt. Dabei seien Pfarrer nicht die Missionierenden, sondern die Missionierten. Der Pfarrer der Bremer St- Martini-Gemeinde schätzt, dass 80% der Pfarrer „nicht wiedergeboren“ seien. Die Ursache sieht Latzel im Theologiestudium, das wesentliche Glaubensinhalte leugne. „Missionieren bedeute, den Menschen unmissverständlich von Jesus Christus zu erzählen. Stattdessen betätigen sich führende EKD-Vertreter im interreligiösen Dialog mit dem Islam.“[45]
Das Kernproblem wäre demnach ein in weiten Teilen abhandengekommener Glaube. Martin Luthers Schlüsselerlebnis war die Erkenntnis über die Rechtfertigung aus dem Glauben: „Der Gerechte wird aus Glauben leben.“ Römer 1,17 Hier könnte sich neben aller theoretischen Erkenntnis ein großes Betätigungsfeld mit Reformpotenzial ergeben: Das Leben des Glaubens. Jeder Gläubige darf ein „Botschafter Christi“[46] sein und als „Brief Christi“[47] von seiner Umgebung gelesen werden.
500 Jahre Reformation – ein interessanter, dankbarer Blick zurück – und eine Sicht nach vorn, die das Wort Gottes erfahren möchte: „Wendet euch zu mir, so werdet ihr gerettet, aller Welt Enden; denn ich bin Gott, und sonst keiner mehr.“ Jesaja 45,22
Kurz vor seinem Tod betete Luther: „Wir haben einen Gott, der da hilft und einen Herrn, Herrn, der vom Tode errettet.“ Über ihn wird berichtet: „Martin Luther, der in seinem Leben so innig-kindlich, so himmelstürmend-gewaltig, so herzergreifend-tröstlich beten konnte, betete nun sein Sterbegebet, das geheiligt ist durch das Sterben des Heilandes und vieler Christen, die mit ihm die Todesschwelle überschritten: ,In deine Hände befehle ich meinen Geist, du hast mich erlöst, du treuer Gott.´“[48]
Es würde 2017 keinen Kult um Luther geben, verkündete die EKD-Botschafterin für das Reformationsjubiläum, Margot Käßmann.[49]Würde Luther einen Kult um seine Person wollen? Das ist schwer vorzustellen. Stattdessen würde er uns damals wie heute auf die Grundsätze der Reformation hinweisen: Allein die Bibel. Allein die Gnade. Allein der Glaube. Allein Christus.
„Der Gott aber aller Gnaden und Barmherzigkeit wolle sein Werk in uns stärken und vollbringen, das er angefangen hat zu seiner Ehre und zum Trost seiner kleinen Herde. Amen.“[50]
Die Internetseiten wurden im November/Dezember 2016 aufgerufen.
[1] vgl. Mitteldeutsche Zeitung vom 26./27.11.2016, Seite 23; IdeaSpektrum Nr. 44, 2016, Titelseite
[2] http://www.jesus.ch/information/gebet/103905-zitate_zum_thema_bibel.html
[3] http://www.tcwords.com/martin-luther-bleibende-zitate-aus-der-zeit-der-reformation/
[4] ebd.
[5] ebd.
[6] ebd.
[7] „ … Der Gerechte wird aus Glauben leben.“ Römer 1,17
[8] Hinrich Boehmer, Der junge Luther, Koehler und Amelang Leipzig, 6. Auflage 1954, S. 96.
[9] http://www.kathpedia.com/index.php?title=Papst
[10] Richard Friedenthal, Luther, sein Leben und seine Zeit, R. Pieper & Co Verlag München Zürich, S. 238.241.
[11] http://www.theologische-links.de/downloads/oekumene/leiner_oekumene.html
[12] https://www.welt.de/geschichte/article112273295/Silvester-Kronzeuge-einer-gigantischen-Faelschung.html
[13] Richard Friedenthal, Luther, sein Leben und seine Zeit, R. Pieper & Co Verlag München Zürich, S. 266.
[14] http://www.kathpedia.com/index.php?title=Ökumene
[15] http://www.theologische-links.de/downloads/oekumene/leiner_oekumene.html
[16] http://www.tcwords.com/martin-luther-bleibende-zitate-aus-der-zeit-der-reformation/
[17] Dr. Marin Luthers Kirchenpostille, Verlag christlicher Schriften Schoen&Krieger, Dresden 1888, S. 42
[18] http://www.kathweb.de/lexikon-kirche-religion/u/unfehlbarkeit-des-papstes.html
[19] Das Papsttum, Ursprünge, Geschichte, Symbole, Sonderdruck 2005 von „Welt und Umwelt der Bibel“, Katholisches Bibelwerk e. V., S. 9.
[20] http://konfessionskundliches-institut.de/essay/3-grundwissen-katholische-lehre-von-der-offenbarung-gottes/2/
[21] http://www.planet-wissen.de/kultur/religion/geschichte_der_heiligenverehrung/index.html
[22] http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/berufung-ist-keine-gemutsbewegung
[23] http://www.sonntagsblatt.de/news/aktuell/2008_14_18_01.htm
[24] Martin Luthers Leben in Selbstzeugnissen, Evangelische Verlagsanstalt Berlin, S. 18.
[25] http://www.ekd.de/rss/pm145_2008_velkd_rechtfertigung.html
[26] http://www.kathpedia.com/index.php?title=Rechtfertigung
[27] http://www.vatican.va/roman_curia/pontifical_councils/chrstuni/documents/rc_pc_chrstuni_doc_31101999_cath-luth-joint-declaration_ge.html
[28] ebd.
[29] Das Papsttum, Ursprünge, Geschichte, Symbole, Sonderdruck 2005 von „Welt und Umwelt der Bibel“, Katholisches Bibelwerk e. V., S. 9.
[30] Luther, Die 95 Thesen, Nr. 32, http://www.luther.de/leben/anschlag/95thesen.html
[31] http://kath-zdw.ch/maria/ablass.html
[32] http://www.kath.net/news/11900
[33] http://www.ekd.de/glauben/abc/abendmahl.html
[34] http://www.katholisch.de/glaube/unser-glaube/die-reale-gegenwart-christi
[35] http://www.ekhn.de/aktuell/magazin/detaildossier/news/menschen-brauchen-die-beichte.html
[36] http://www.katholisch.de/glaube/unser-glaube/sakramente
[37] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-03/zoelibat-kirche-priester
[38] Richard Friedenthal, Luther Sein Leben und seine Zeit, S. 264.
[39] ebd. S. 264.265.
[40] IdeaSpektrum 44.2016, Seite 12.
[41] http://www.mdr.de/mediathek/themen/katholikentag-leipzig-mediathek-100.html, „Luther wiederentdeckt: Wie halten es die Katholiken mit der Reformation?“ 2016
[42] http://www.kath.net/news/8853/print/yes
[43] Richard Friedenthal, Luther Sein Leben und seine Zeit, S. 272.273.
[44] Thomas Maess, Dem Luther aufs Maul geschaut, Koehler und Amelang Leipzig, 2. Auflage 1983, S. 71.
[45] IdeaSpektrum 47.2016, S. 8
[46] vgl. 2. Korinther 5,20
[47] vgl. 2. Korinther 3,3
[48] Martin Luthers Leben in Selbstzeugnissen, Evangelische Verlagsanstalt Berlin, S. 33.34.
[49] IdeaSpentrum März 2016
[50] Luthers Werke, Volksausgabe in acht Bänden, Reformatorische Schriften erster Band, Herausgegeben von Buchwald, Kawerau u. a., A. Schwetschke und Sohn Berlin 1898., S. 12.