Christus und seine Nachfolger haben die Welt verändert – Teil 2
20. Februar 2020Vom Sabbat zum Sonntag
20. Februar 2020„Und Jesus ging aus dem Tempel fort, und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.“ Matthäus 24,1.2.
Der römische Feldherr Titus, der spätere Kaiser, belagerte die Stadt Jerusalem, nahm sie trotz des harten Widerstandes ein und verwüstete sie. Dieser Sieg brachte Titus die Ehre des römischen Triumphes. Die Belagerung war ein vorläufiger Höhepunkt des jüdischen Aufstandes, der von 66. bis 73. n.Chr. tobte, und mit dem Ziel geführt wurde, sich von der römischen Besatzung zu lösen. Aber was waren die Folgen der Tempelzerstörung für die jüdische Bevölkerung Palästinas? Wie verstanden und bewerteten die Juden den Verlust des Tempels? Wie gestaltete sich fortan ihr Glaubensleben? Für Christen hat im Opfertod Jesu der irdische Tempeldienst seinen Abschluss gefunden. Doch wie sind die Juden, die Christus nicht als ihren Erlöser annahmen, mit dieser Thematik umgegangen?
Das Judentum in Palästina
Im ersten Jahrhundert nach Christus finden wir in Palästina kein einheitliches Judentum. Es gab zu der Zeit drei größere Bewegungen: die Sadduzäer, die Essener und die Pharisäer. Schon der Historiker Flavius Josephus war auf der Suche nach der „Beste“ Strömung:
„Es gibt nämlich bei den Juden drei Arten von philosophischen Schulen, die einen bilden die Pharisäer, die anderen die Sadduzäer, die dritte, welche nach besonders strengen Regeln lebt, die sogenanntem Essener.“ (Jos. Bell. II, 8, 2)
Was diese Strömungen gemeinsam hatten und was sie im Kontrast zum Christentum zu einer innerjüdischen Bewegungen machte, war die strikte Befolgung der Torah und die Notwendigkeit der Existenz eines Tempels. In ihren Vorstellungen vom Wesen und der Funktion des Tempels waren sie jedoch recht unterschiedlich.
Die Eckpfeiler des Judentums in dieser Zeit waren „der eine Gott, die eine Torah, der eine Tempel”. Diese drei Punkte formten einen ideologischen Komplex. Die zentralen Symbole des Judentums in Palästina waren also die Torah und der Tempel in Jerusalem. Die Torah hatte einen Verfassungscharakter für die Juden und die Bedeutung des Tempels lag darin begründet, dass er der Ort der Auslegung der Torah durch den Hohepriester war. So hatte die Kombination von Tempel und Torah eine Doppelfunktion als Schnittpunkts Israels mit seinem Gott und als Machtzentrum des jüdischen Palästina.
Vom beeindruckenden Tempel selbst lesen wir: „Reichtum, Arbeit und Baukunst waren über 40 Jahre lang in freigebiger Weise zur Verherrlichung des Tempels eingesetzt worden. Herodes der Große hatte dafür sowohl römischen Reichtum als auch jüdische Schätze aufgewandt, und sogar der römische Kaiser hatte ihn mit seinen Geschenken bereichert. Massive Blöcke weißen Marmors von geradezu unwahrscheinlicher Größe, zu diesem Zweck aus Rom herbeigeschafft, bildeten einen Teil seines Baues; und darauf lenkten die Jünger die Aufmerksamkeit ihres Meisters, als sie sagten: „Meister, siehe, welche Steine und welch ein Bau ist das!“ Markus 13,1. “ (Der gr. Kampf, S. 24)
Die Relevanz der Zerstörung des zweiten Tempels
Zum Zeitpunkt der Tempelzerstörung in Jerusalem lebte der Hauptteil der Juden im römischen Reich, entweder direkt in Palästina oder auch in der hellenistischen Diaspora. Aufgrund des unterschiedlichen sozio-religiösen Backgrounds kam es zwischen der jüdischen Bevölkerung Palästinas und dem römischen Imperium in der Form der Institutionen und der Gesellschaft oft zu Konflikten und Reibungspunkten. Besonders hervorzuheben ist die Ablehnung der Juden gegenüber des römischen Herrscherkultes und der Staatsgottheiten. Dies führte mit der Zeit zu einer Abgrenzung von der römischen Kultur und Gesellschaft, welche sich im Jahre 66. n. Chr. in Unruhen und dem sogenannten „ersten jüdischen Krieg“ entlud. Dieser wurde erst im Jahre 73. n. Chr. von den Römern niedergeschlagen. Durch die langen und intensiven Kämpfe wurde die Bevölkerung Palästinas, Schätzungen zu Folge, um bis zu einem Drittel reduziert. Bei Josephus finden wir:
„Die Gesamtzahl der in diesem Krieg gefallenen Juden belief sich auf 97000; ums Leben kamen während der Dauer der Belagerung eine Millionen und hunderttausend. Die meisten waren geborene Juden, aber nicht aus Jerusalem.“ (Jos. Bell. VI, 9, 3.)
Im Jahre 70 n. Chr., als die römischen Truppen die Stadt Jerusalem belagerten und schlussendlich einnahmen, ging der unter Herodes gebaute sogenannte herodianische JHWH-Tempel in Flammen auf. Wir finden einen Bericht dazu bei Flavius Josephus:
„Titus begab sich jetzt wieder auf die Antonia zurück mit dem Entschluss, am frühesten Morgen des nächsten Tages seine ganze Macht in das innere Heiligtum zu werfen und so das ganze Tempelhaus ringsum einzuschließen. Gott aber hatte schon längst den Tempel zum Feuer verurteilt […]. Wie die Juden die eigentliche Schuld waren, so sollten sie auch die äußere Veranlassung des Brandes werden. Kaum hatten sich nämlich die Rebellen nach dem Abzug des Titus ein wenig verschnauft, als sie schon wieder auf die Römer los stürzten: es waren diesmal die jüdischen Wachposten am Tempelhaus, welche den am inneren Heiligtum mit Löscharbeiten beschäftigten Römern ein Gefecht lieferten; die Römer aber jagten die Juden zurück und gelangten bei der Verfolgung bis zum eigentlichen Tempelhaus. Hier geschah es nun, dass ein Soldat, ohne einen höheren Befehl abzuwarten oder im geringsten vor seiner verhängnisvollen Tat zurückschrecken, wie von einer unsichtbaren Hand ergriffen, aus den glühenden Holzstücken einen Feuerbrand aufraffte […] und das Feuer beim goldenen Fenster hineinwarf […]. Das Aufwirbeln der Flammen begleiteten die Juden mit einem Schrei, wie ihn nur das Entsetzen über ein solches Unheil ausstoßen kann.“ (Jos. Bell. VI, 4, 5)
Nachdem der Tempel teilweise zerstört war, transportierten die Römer die Reichtümer aus dessen Innerem – unter anderem der goldene Tisch, der siebenarmige Leuchter und die Purpurvorhänge ab und stellten sie beim Triumphzug des Titus zur Schau. Eine Beschreibung der sofortigen Reaktion der Juden in Jerusalem auf den Brand der Tempels findet man bei Cassius Dio:
„Und obwohl sie, nur eine kleine Schar, gegen eine gewaltige Übermacht kämpften, wurden sie nicht eher besiegt, als bis ein Teil des Tempels in Brand gesteckt wurde. Da gingen sie freiwillig in den Tod, ein Teil warf sich in die Schwerter der Römer, andere töteten sich gegenseitig oder begingen Selbstmord, der Rest sprang in die Flammen. Und allen, insbesonders den Genannten, schien es statt des Untergangs Sieg, Rettung oder Glück zu sein, dass sie zusammen mit dem Tempel vergehen durften.“ (Cass. Dio 65,6,3)
Dieser Bericht macht deutlich, wie fatal der Brand des Tempels von den Juden empfunden wurde. Entscheidend ist hierbei, dass mit der Zerstörung des Tempels auch der Opferdienst beendet wurde. Da es nun weder Opfer noch Tempel gab, war auch das Amt des Hohepriesters bedeutungslos geworden. Somit ging das örtlich manifestierte Zentrum der jüdischen Religion verloren. Der Sanhedrin, die inner-jüdische Selbstverwaltung, stand ebenfalls in direktem Zusammenhang mit dem Tempel und war nun der Auflösung preisgegeben.
Nachdem das religiöse Zentrum Jerusalems zerstört und das politische Zentrum des Judentums aufgelöst war, verlegten sich die religiösen Aktivitäten der Juden in die Diaspora. Jüdische Gemeinden jenseits von Palästina gab es schon seit der Zerstörung des ersten Tempels um 586 v. Chr. und die verbliebenen Juden in Palästina adaptierten deren Verhalten. Dies führte zu einer weiteren Verbreitung, auch in Ermangelung einer Alternative, und stärkeren Nutzung der Synagoge, die in den nächsten Jahrzehnten Teile der Funktionen des Tempels übernahm.
Historiker suchen nach Gründen, warum ein weiterer Wiederaufbau des Tempels und die Restaurierung des Komplettsystems nicht zu Stande kam. Der israelische Historiker Ben-Sasson erwähnt Versuche des Wiederaufbaus, die aber erfolglos geblieben sind.
Kaiser Julian (361-363) versuchte, die biblische Weissagung aus Matthäus 24,1.2. zu widerlegen, die besagt:
„Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.“
Sein Vorhaben, den Tempel wieder aufbauen blieb jedoch erfolglos.
Theodoret beschreibt in seiner Kirchengeschichte, dass der Bau begonnen wurde, es aber zu übernatürlichen Erscheinungen, schweren Erdbeben und Feuern gekommen sei, wodurch dann die aus aller Welt herbeigekommenen jüdischen Bauleute schließlich ihr Vorhaben aufgegeben und die Flucht ergriffen hätten.“ (siehe Mordechai Piron: Die römische Initiative zum Wiederaufbau des Tempels. In: Aufbau. Nr. 4, 2009, S. 10-12.)
Die Rabbinen
Nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels gewannen die Pharisäer einen, im Verhältnis zu den anderen Strömungen innerhalb des Judentums, bedeutenden Vorteil. Innerhalb der theologischen Lehre der Sadduzäer und der Essener spielte der Tempel eine entscheidende Rolle. Für die Pharisäer war der Tempel eher ein Modell mit Vorbildfunktion für das private Haus. Sie versuchten die religiöse Gottesfürchtigkeit auch ohne den Tempel zu erreichen. Die Auswirkung dieses Denkens war, dass der Tempel in seiner realen Manifestation nicht zwangsläufig notwendig war.
Von dieser Entwicklung profitierten auch die Schriftgelehrten, die sogenannten Soferim. Über sie kam die Auffassung zu den Rabbinen, dass die Torah den Mittelpunkt der Gottesfürchtigkeit bilden müsse. Um dies zu erreichen, musste die Torah gelesen, studiert, interpretiert und auch im Alltag angewendet werden. Teile der Lehre der Pharisäer und die Ansichten der Schriftgelehrten fanden sich in der neuen Gruppierung der Rabbinen wieder und prägten sie in der Anfangszeit nachhaltig. In der Lehre der Rabbinen übernahm die Torah die Position des Tempels und wurde in der Folgezeit der Mittelpunkt des rabbinischen Judentums. Während zur Zeit des bestehenden Tempels die Erlangung des Heils im Opferdienst gesehen wurde, meinte man nun, Heiligkeit durch das Studium der Torah und der Auslegung ihres Inhaltes zu finden. So sahen sich die Rabbinen als Nachfolger des Moses, der Propheten und der Pharisäer und beanspruchten für sich, dass ihre Deutung der Torah der des Mose entsprechen würde.
Die rabbinische Literatur
Die Beschreibung der rabbinischen Literatur stellt den Übergang vom Tempeldienst zum rabbinischen Judentum als lückenlos dar und legt daher eine unmittelbare Durchsetzung und Etablierung nahe. Ihr zufolge spielte ein Rabbi namens Jochanan ben Zakkai eine entscheidende Rolle, wobei es allerdings sehr wenige greifbare historische Informationen über ihn gibt. Er soll während der Belagerung durch die Römer bei einer abenteuerlichen Flucht aus Jerusalem in einem Sarg geflohen sein. Er richtete sich an den römischen Kaiser Vespasian mit folgender Bitte: „Alsdann sprach er (Vespasian) zu ihm (Jochanan ben Zakkai): Ich gehe nun fort und schicke einen anderen her; verlange etwas von mir und ich will es dir gewähren. Jener sprach: Gib mir Jamnia [Jawneh] und seine Weisen, die Dynastie R. Gamaliels […].“ (Gittin 56b) In Jawneh gründete Jochanan ben Zakkai eine rabbinische Schule und legte zusammen mit Gamaliel II., Sohn des Simon Gamliel I., die Basis für das rabbinische Judentum. An diesem Ort fand sich aus den überlebenden Juden aus Jerusalem ein neuer Sanhedrin (Oberster Rat) zusammen. Anders als der Sanhedrin in Jerusalem beschäftigte der Sanhedrin in Jawneh sich vorrangig mit rechtlichen Fragen. Von Gamaliel II. ist überliefert, dass er die jüdische Gebetsliturgie festlegte. So wurde ein „Ketzerfluch“ aufgenommen: „Den Verleumdern sei keine Hoffnung, und alle Böswilligen mögen in einem Moment zugrunde gehen!“, was sich direkt gegen andere Religionen wandte, insbesondere gegen das sich im römischen Reich gerade etablierende Christentum. Um dem Judentum im Strudel innerer Zerreißproben und äußerer Verfolgungen eine Überlebenschance zu geben, wurde die strenge Abgrenzung zu allen Andersgläubigen als dringend notwendig angesehen. (Quellen: Monika Grübel: Judentum, DuMont, Köln 1997, S. 42)
Die neuere Forschung
Der Historiker Seth Schwartz zieht nach der Betrachtung römischer, rabbinischer und christlicher Quellen sowie neuerer archäologischer Funde einen anderen Schluss was die Ereignisse direkt nach der Tempelzerstörung in Jerusalem anbelangt. Er sieht in den Rabbinen ein loses Netzwerk von Gelehrten. Die Bindung eines Schülers an einen Rabbi hinge maßgeblich von dem Verständnis der Torah und ihrer Auslegung ab. Dieser konnte nach gewisser Zeit selber zum Rabbi werden und wiederum Schüler an sich binden. Es gäbe auch keine Belege für eine Kontrolle oder maßgeblichen Einfluss der Rabbinen auf die Synagogen.
Die Römer zerstörten mit dem Tempel nicht nur ein Bauwerk, sondern auch den Komplex „der eine Gott, die eine Torah, der eine“, der für die Juden ideologische Tragweite besaß. Infolge dessen würde auch die Torah ihre verfassungsmäßige Funktion verloren haben.
Nach Seth Schwatz resultieren in der Folgezeit aus dieser Entwicklung zwei Formen des Umgangs der Bevölkerung mit der Problematik des Tempelverlustes:
(1) Die Anpassung an die griechisch-römische Kultur oder
(2) strikte Ablehnung aller nicht-jüdischen Einflüsse. Die Mehrzahl der Juden dürfte sich wohl an der griechisch-römischen Kultur orientiert haben und nur kleinere Bewegungen wie die Rabbinen sind zur zweiten Kategorie zu zählen. Erst im dritten Jahrhundert nach Christus kann das Amt des Patriarchen, des Vorstehers des Hohen Rates, wieder zuverlässig belegt werden, was auf eine neue Blüte des Judentums hindeutet.
Das jüdische Glaubensverständnis sucht eigene Wege
Es ist heute noch weitgehend unklar, wie das jüdische Volk sich direkt nach der Tempelzerstörung ohne ihr Herzstück des Glaubenslebens neu arrangierte. Die vorhandenen Überlieferungen aus der Zeit um die Tempelzerstörung breiten vor dem Betrachter ein widersprüchliches Bild aus, das in mir persönlich den Wunsch nach weiterem Suchen und Forschen wachrief.
Um die Geschichte lebendig und fassbar zu machen, versetze ich mich gedanklich in die Welt eines Juden in Jerusalem im Jahre 70 n. Chr. Dieser Jude lebt und liebt seinen Glauben, dessen Herzstück der Tempel bildet. Der wundervolle Bau mit seinem bedeutungsvollen und heilswichtigen Opferdienst ist der Lebensodem jüdischen Denkens. Was bleibt von einem Körper nach dem Ausfall der Herzfunktion? Nach der Zeit des Schmerzes, den Cassius Dio so eindrucksvoll beschreibt, bleibt nicht nur eine Leere, sondern auch die Frage der Überlebensmöglichkeit des quasi herzamputierten Körpers. Darauf kann man sich nur vorbereiten, wenn man von den bevorstehenden Ereignissen und deren Bedeutung weiß. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sofort nach der Tempelzerstörung ein gut organisierter, durchdachter Neubeginn des jüdischen Lebens stattfand. Dies hätte eine Einkalkulierung des Tempelverlustes und eine lehrmäßige Ablösung des Opfers bereits in der Torah-Auslegung vorausgesetzt. Die Vorbereitung auf ein Ende des Tempeldienstes wäre nur möglich gewesen, wenn den alttestamentlichen Prophezeiungen geglaubt worden wäre. Hätten die Juden die Prophetie auf Jesus angewandt, so wären sie als Volk messianische Juden geworden. Wir wissen, dass dem leider nicht so war.
Ich halte es mit Seth Schwatz für sehr wahrscheinlich, dass es eine längere Phase des Suchens, Neufindens und Arrangierens mit der entstandenen Situation gab. Viele Juden werden es schlichtweg nicht verstanden haben, was geschehen ist. Wem der Boden unter den Füßen entrissen wird, der hat keinen Halt mehr. Wo sich Verzweiflung, Unverständnis und Ratlosigkeit breitmachten, werden die Rabbinen mit einer neu angepassten Torah-Auslegung als Hoffnungsträger und Wegweiser in eine neue Zukunft erschienen sein.
Für Christen hat im Opfertod Jesu der irdische Tempeldienst seinen Abschluss gefunden. Das Volk der Juden, das heute noch auf den Messias wartet, hat das Opfer im Tempel nicht verstanden. Daher wurde aus der Situation des Tempelverlustes heraus nur ein religiöser Brauch in den häuslichen Bereich des Alltagslebens verlegt. Das jüdische Selbstverständnis und -bewusstsein hat sich über einen längeren Zeitraum nach der Tempelzerstörung neu aufgebaut, was auch die Umgestaltung von Privathäusern zu Synagogen belegt. (siehe Carsten Claußen: Versammlung, Gemeinde, Synagoge. Das hellenistisch-jüdische Umfeld der frühchristlichen Gemeinden. Zugl.: Diss. Univ. München 1999)
Ohne Opfer keine Versöhnung
Seit dem Sündenfall geschieht Versöhnung nur durch ein Opfer. Aus der Geschichte von Kain und Abel wissen wir, dass ohne Blutvergießen keine Versöhnung möglich ist. Nun war der Tempel zerstört, der Opferdienst hörte auf – und wie sollte dann die Versöhnung stattfinden? Jesus Christus wurde als Opfer nicht angenommen. So sehr ich auch danach suchte, ich fand keine jüdische Erklärung zur Erlösungsfrage. Das jüdische Glaubensverständnis ist ein völlig anderes:„Das Wesentliche und Entscheidende der Frömmigkeit ist im Judentum das Tun des Menschen, die Erfüllung des Gottesgebotes, der Mizwa. Die Tora, die Lehre, ist nicht eine Lehre vom Glauben, sondern eine Lehre vom Tun. Auf dieses richtet sich die ganze Forderung, ihm und nur ihm ist die ganze, ins Einzelne gehende Bestimmtheit zugewiesen und zuerkannt.“ (Leo Baeck, „Jüdische Anerkennung individueller Glaubensauffassung“, http://juden.judentum.org/judenmission/baeck-2.htm) Demnach stellt sich mir die Frage, warum die Juden jemals geopfert haben. War der Opferdienst vor der Tempelzerstörung ein religiöser Irrtum oder ist es der Verzicht auf einen Versöhnungsdienst mit Gott nach der Tempelzerstörung?
Sünde und Erlösung waren doch auch jüdische Themen, wie z.B. eine Feststellung Davids belegt:
„Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist!“ Psalm 32,1
Ich habe dem „Zentralrat der Juden in Deutschland“ meine Fragen gestellt – aber leider bis heute noch keine Antwort erhalten. Wie konnte es geschehen, dass deutliche Zeichen Gottes von den Juden nicht gesehen oder verstanden wurden? Der zerrissene Vorhang zum Allerheiligsten war bei Jesu Kreuzestod das sichere Zeichen für die Beendigung des Tempeldienstes.
„Im Frühjahr des Jahres 31 wurde Christus als das wahre Opferlamm auf Golgatha geopfert. Der Vorhang im Tempel zerriss, um anzuzeigen, dass die Heiligkeit und Sinngebung des Opferdienstes ihr Ende gefunden hatten. Die Zeit war gekommen, dass irdische Opfer aufhörten.“ (Das Leben Jesu, S. 217)
Die Antwort auf meine Frage, warum die Juden das Ende des irdischen Opferdienstes nicht verstanden, fand ich bei E.G. White:
„Nach ihrer Rückkehr aus Babylon widmeten die Juden der religiösen Unterweisung große Aufmerksamkeit. Überall im Lande errichteten sie Synagogen, in denen Priester und Schriftgelehrte das Gesetz auslegten. Sie gründeten auch Schulen, auf denen neben den Künsten und Wissenschaften angeblich auch die Grundsätze wahrer Frömmigkeit gelehrt wurden. Diese Institutionen gerieten jedoch in Verfall; denn während der Gefangenschaft hatten viele Israeliten heidnische Vorstellungen und Bräuche übernommen, die sie nun in den Gottesdienst einschleusten. In vielen Dingen passten sie sich den Gewohnheiten der Götzendiener an. Als sich die Juden von Gott abwandten, verloren sie weitgehend das Verständnis für die Bedeutung des Opferdienstes, der von Christus selbst eingeführt worden war. In allen seinen Teilen war dieser Dienst ein Sinnbild auf Jesus hin und von Kraft und geistlicher Schönheit erfüllt. Den Juden kam nun die geistliche Sinngebung ihrer Zeremonien abhanden, und so klammerten sie sich an tote Formen. Sie setzten ihr Vertrauen auf die bloßen Opfer und Bräuche statt auf den, auf den diese hinwiesen.“ (Das Leben Jesu, S. 20)
Dieses erschreckende Zeugnis über das jüdische Volk möge auch uns nahegehen und uns zur Selbstprüfung führen, damit wir nicht auch in Selbstsicherheit und dem Festhalten an toten Traditionen erstarren.
Wer auf Gott hört, findet Sicherheit.
– Sicherheit im Verständnis der Heiligen Schrift
„Seht zu, dass euch nicht jemand verführe …“ Matthäus 24,4b
sagte Jesus zu seinen Jüngern und:
„Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von des Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Johannes 7,37.38.
Das bedeutet für mich: Vorsicht bei neuen Lehren und neuen Ideen! Was uns begegnet, muss an der Bibel geprüft werden! Wer den biblischen Glauben auslebt, ist ein Lebens- und Freudenquell! Dass wir Christen sind, sollte an unserem Gesicht, an unseren Worten und Taten abgelesen werden können!
– Sicherheit und Zuflucht in der Not
„Christus hätte den Untergang der jüdischen Nation abgewendet, wenn das Volk ihn angenommen hätte. Doch Neid und Eifersucht machten die Juden hart und unzugänglich. Sie beschlossen, Jesus von Nazareth nicht als den Messias anzunehmen. Sie verwarfen das Licht der Welt Ihr rebellischer, eigensinniger Stolz ließ den Zorn ihrer römischen Eroberer über sie kommen.“ (Propheten und Könige, S. 502)
Es ist wunderbar, dass wir immer entscheidungsfähig sind und Gott uns die Hand reicht:
„Nicht ein Christ kam bei der Zerstörung Jerusalems ums Leben. Christus hatte seine Jünger gewarnt, und alle, die seinen Worten glaubten, warteten auf das verheißende Zeichen. … Ohne Zögern flohen sie (die Christen) nach einem sicheren Ort – nach der Stadt Pella im Lande Peräa, jenseits des Jordans.“ (Der gr. Konflikt, S. 30)
– Sicherheit im kritischen Blick auf den eigenen Zustand
„Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Matthäus 5,20
„Der Gerechte wird aus Glauben leben.“ Römer 1,17b
Schau in den Spiegel und erkenne dich! Der Spiegel ist das Wort Gottes, aber auch dein Nächster.
– Sicherheit und Glaubenszuversicht in Jesus Christus
Mögen wir die Zuversicht des Petrus haben: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes.“ Johannes 6,68.69. Wer mit Jesus lebt, darf von Ihm Weisheit erbitten, um Wahrheit und Irrtum unterscheiden zu können.
– Sicherheit – gilt sicher nicht nur uns!
Von Paulus lernen wir, dass auch die Juden mit unserer Evangeliumsbotschaft erreicht werden mögen. Der Apostel beschreibt seinen Dienst so:
„Ich habe euch nichts vorenthalten, was da nützlich ist, dass ich’s euch nicht verkündigt hätte und euch gelehrt öffentlich und in den Häusern und habe bezeugt den Juden und Griechen die Bekehrung zu Gott und den Glauben an unsern Herrn Jesus.“ Apostelgeschichte 20,20.21
Ich habe Hoffnung für jeden Juden, der aufrichtig nach der Wahrheit sucht. Unser Christsein darf nicht zur Überheblichkeit führen.
„Als Volk hatte Israel durch seinen Unglauben und die Verwerfung des vom Himmel angebotenen Heils seine Verbindung zu Gott verloren. Aber die einzelnen Zweige, die sich von der Mutterpflanze getrennt hatten, konnte Gott wieder mit dem wahren Stamm Israel, den Übriggebliebenen, die dem Gott ihrer Väter treu geblieben waren, vereinen. „Wiederum jene“, erklärte der Apostel im Blick auf diese ausgebrochenen Zweige, „sofern sie nicht bleiben in dem Unglauben, werden eingepfropft werden; Gott kann sie wieder einpfropfen.“ Römer 11,23 “ (Das Wirken der Apostel, S. 374)
Zur Thematik der Judenmission gibt es unterschiedlichste Standpunkte in den verschiedenen Kirchen. Es wird diskutiert, ob Juden Jesus als Erlöser brauchen. So ist in einer Broschüre des Zentralkomitee der deutschen Katholiken, die den Titel trägt: „Nein zur Judenmission – Ja zum Dialog zwischen Juden und Christen“, zu lesen:
„Neben dem „Bundesvolk“ Israel gibt es nach christlichem Glauben ein zweites, das Volk Gottes aus den Völkern, das heißt den Nichtjuden. Der neue Bund ersetzt nicht den alten, sondern tritt als ein zweiter Bund neben diesen. … Beide sind vollgültige, von Gott gewollte Heilswege. Für Juden gibt es keinen Grund, an Jesus zu glauben und sich taufen zu lassen.“ (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/judenmission)
„Der Leiter des jüdisch-messianischen Evangeliumsdienstes Beit Sar Shalom, Wladimir Pikman (Berlin), wird im Internet zitiert:
„Christen sollten wissen, dass Jesus Christus das Beste ist, dessen jeder Mensch bedarf, und aufhören, Juden in Bezug auf ihren Messias zu benachteiligen“, schreibt er in einem Kommentar für die Evangelische Nachrichtenagentur idea (Wetzlar). Sie sollten stattdessen überlegen, „wie man den Juden durch Wort und Tat Jesu Güte und Liebe richtig vermitteln kann“. Jesus sei der König und der Messias der Juden: „Als Jude kam er in die Welt, um zuerst Juden zu retten. Er hat sich in erster Linie für die Juden geopfert.“ Auch die Apostel hätten sich bemüht, den Juden das Evangelium zu verkündigen. Sie hätten Jesus „als für Juden notwendigen Erlöser“ bezeichnet. … In Deutschland leben Schätzungen zufolge etwa 6.000 an Jesus Christus als Messias glaubende Juden.“ (http://www.idea.de/detail/thema-des-tages/artikel/brauchen-juden-jesus-zum-heil.html)
Ich möchte auf diese beiden unterschiedlichen Meinungen zur Mission unter Juden mit Jesu Worten antworten, der von sich selbst sagt:
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Johannes 14,6.
und alle Menschen, auch die Juden, ruft:
„Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Matthäus 11,28.
Der Tempel in Jerusalem ist zerstört – das Opfer Jesu bleibt. Jesus dient heute für uns als Hohepriester im himmlischen Heiligtum, dem Tempel, der in Hebräer 9,11 beschrieben ist.
„So ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen …“ Hebr. 9,28
– meine und deine – wenn du willst.