Warum wurde der Mönch Bonaventura kein Reformator?
20. Februar 2020KLETTERN – EINE LEKTION ÜBER JESUS
20. Februar 2020Zeitgenössische Bibelkundler ziehen für ihre Argumentationen üblicherweise oft nur jeweils ein einzelnes Bibelbuch heran. Das möchte ich hiermit auch versuchen und forsche nach „Gesetz und Gerechtigkeit“ im Matthäusevangelium.
Der Schreiber des Matthäusevangeliums sticht als Analytiker hervor, der seinen Text mit dem Stammbaum Jesu beginnt – ein schöner Beweis der Christozentrik im Denken und der Überlieferungsabsicht des Verfassers. (vgl. Matthäus 1,1-17 Diese Feststellung möchte die Basis der weiteren Überlegungen bilden.
Biblische Definition von Gesetz – Jesus erleuchtet das Gesetz
Das „Gesetz“ bezeichnet in der Lehre Jesu gewöhnlich den Pentateuch (vgl. Matthäus 5,18 f), die fünf Bücher Mose, die in der jüdischen Tradition „Thora“ genannt werden. Hingegen sind mit „dem Gesetz und den Propheten“ (vgl. Matthäus 5,17; 7,12; 11,13; 22,40 „alle“ alttestamentlichen Schriften gemeint.
Die grundsätzliche Bestimmung des Verhältnisses Jesu zum Gesetz findet sich in Matthäus 5,17 :
„Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“
Jesus Christus tritt als vollmächtiger Ausleger der Thora und der Propheten auf. Das Matthäusevangelium lässt Jesus in wörtlicher Rede über den ewigen Bestand des Gesetzes reden und gleichzeitig ein völlig neues Licht auf das Althergebrachte werfen. Was beim flüchtigen Lesen wie ein unlogisches Konstrukt sich widersprechender Gedanken daherkommt, lässt bei gründlicher Betrachtung nur einen Schluss zu: Hier wird von verschiedenen Gesetzestexten gesprochen, die inhaltlich, in ihrem Geltungsgebiet und in ihrer Gültigkeitsdauer differieren.
Als verständlich und sinnvoll hat sich erwiesen, die Gesetze in drei große Bereiche zu gliedern:
1. Das ewig gültige Gesetz Gottes – der Dekalog (Zehn Gebote), der „für alle Menschen“ gilt. (vgl. Prediger 12,13; Matthäus 5-7; 19,17)
2. Das durch Mose übermittelte Gesetz – das Zeremonialgesetz (Alter Bund), das auf Jesu Opfer weist und im Neuen Bund durch die Annahme des Opfers Jesu ersetzt wird (vgl. 2. Mose 23-30; Matthäus 20,28; 27,51
3. Das bürgerliche Gesetz des Volkes Israel – Rechtsvorschriften und Ordnungen für das jüdische Volk, z.B. „Rechte hebräischer Sklaven“ (vgl. 2. Mose 21,1-11; Matthäus 15,3
Die Gesetze der Pharisäer
In der Kritik Jesu an die mündliche Tradition der Pharisäer beschreibt er Gesetzesauswüchse, die er als menschliche, nicht göttliche Lehre darstellt. „Sie binden schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen auf die Schultern“ Matthäus 23,4 . Unter dieser Beschreibung und vor allem im Erleben einer Religion derartiger Gesetzespraktiken wirkt der Gedanke an einen liebenden Gott weit entfernt. Jesus räumt radikal auf mit den unerträglichen Gesetzen und bekräftigt mit sieben „Weh euch“-Rufen die Schändlichkeit des pharisäischen Treibens. (vgl. Matthäus 23,13.15.16.23.25.27.29. Die Sieben als heiliger Vollzahl unterstreicht hier die absolute Verneinung. Jesus distanziert sich nicht nur, sondern er überschüttet den herrschenden Klerus mit Tadel und Vernichtung. Hier fallen Worte wie „Heuchler“ (Vers 13), „Hölle“ (Vers 15), „Ihr Narren und Blinden“ (Vers 17) und „Ihr Schlagen, ihr Otternbrut! Wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen?“ (Vers 33) Das Kapitel 23 wirkt wie ein Krug, der mit jedem Vers mehr negative Charakteristiken der Pharisäer und Schriftgelehrten aufnimmt, bis er am Ende zerbricht. Das kleinliche, äußerliche Gesetzeshalten wird nicht vor dem Tod retten. Was der Mensch braucht, nämlich die Gerechtigkeit, die vor Gott bestehen kann, ist nicht in einer religiösen Pedanterie zu finden, die weder Sinn noch Zweck von Gottes Willen verinnerlicht hat. In einer prophetischen Schau zeigt Jesus die Unbelehrbarkeit der Pharisäer. (vgl. Vers 34)
Jesus legt dar, wie die Pharisäer Gottes Gesetz durch eigene Satzungen ersetzten. „Damit habt ihr Gottes Gebot aufgehoben um eurer Satzungen willen.“ (vgl. Matthäus 15,1-9 Der Sohn Gottes lässt keinen Zweifel daran, dass dies nicht dem Willen Gottes entspricht.
Ist das Gesetz abgeschafft?
Matthäus 5,18 spricht vom Bestehenbleiben des Gesetzes. Jesus meint hier ein ewig gültiges Gesetz. Ein Gesetz wird von einem Gesetzgeber erlassen. Die Bibel nennt Gott als Gesetzgeber und das Gesetz als „seinen Willen“. (vgl. Matthäus 7,21 Deckungsgleich mit Matthäus 5,17.18. manifestiert auch Kapitel 7,21 die Notwendigkeit, den Willen Gottes zu tun. Doch worum geht es genau? Welcher Gesetzestext ist gemeint?
Diese Frage muss von solch zentraler Wichtigkeit sein, dass Jesus wort- und bildreich in Argumentationssträngen verschiedene Gesetze und deren bisherige Auslegung analysiert. Er beschreibt die historische Praxis und in seiner Vollmacht als Gottes Sohn stellt er neue Forderungen auf. „Ich aber sage euch“ (vgl. Matthäus 5,22 wirkt, als würde Jesus wie ein Revolutionär einen Umsturz vollziehen. Doch ist dem wirklich so?
Jesus lässt das Gesetz glänzen
Gottes Sohn kratzt die pharisäische Patina vom Gesetz ab und lässt die Strahlen der Liebe Gottes aus dem Gesetz hervorleuchten. Es kommt darauf an, nicht nur den Wortlaut zu verstehen, sondern hinter den Buchstaben zurückzugehen, um Gottes Willen zu erkennen. Beispiel dafür sind die sogenannten Antithesen. (vgl. Matthäus 5,21-48
In den Antithesen der Bergpredigt scheint Jesus messianisch-autoritativ („Ich aber sage euch“) den mosaischen Geboten zu widersprechen, bzw. einzelne Gebote aufzuheben (vgl. Matthäus 5,32.34.39 . Doch Jesus wischt nicht gesetzliches Handeln weg, sondern kristallisiert das Ursprüngliche der göttlichen Absicht heraus. Gesetz und Propheten sind von Jesus als Gottes eigentliche Forderung klar herausgestellt und in Kraft gesetzt (vgl. Matthäus 5,21-48 worden. Jede einzelne Analyse (z. B. „Vom Töten“ oder „Vom Ehebrechen“, Matthäus 5,21-32 wirkt, als bräuchte der Mensch eine klarere Beschreibung, um den sich in vielen Jahren manifestierten Praktiken entgegenzutreten.
Im Verhältnis zur Thora zeigt sich eine Spannung, die nicht auf eine Unausgeglichenheit der aufgegriffenen Traditionen zurückzuführen ist. Ausgerechnet die Aussage, die am klarsten von der uneingeschränkten Gültigkeit des Gesetzes spricht (vgl. Matthäus 5,17-19 , steht als „Überschrift“ über den Antithesen (vgl. Matthäus 5,21-48 , die über die Aussagen der Thora hinausgehen. Der Evangelist gestaltet also bewusst. Er macht selbst auf eine Spannung aufmerksam, die für seine Sicht der Thora kennzeichnend ist.
Der Dekalog in ewiger Gültigkeit
Einerseits: Was Jesus in den Antithesen sagt, ist nicht gegen das Gesetz gerichtet, sondern beschreibt dessen eigentlichen Sinn frei.
Andererseits aber muss dieser Sinn auch erst beschrieben werden; er erschließt sich scheinbar nicht aus dem, was bislang allgemein galt. Diese Dimension des „Neuen“ lässt uns dennoch das „Alte“ erkennen: den Dekalog, die Zehn Gebote aus 2. Mose 20,2-18. Hätte Jesus die Zehn Gebote abschaffen wollen, spräche die Bergpredigt vielleicht von ganz anderen Dingen, nicht aber vom Leben in der Erfüllung des göttlichen Willens.
Aus Matthäus 5,17 erkennen wir zwei Positionen Jesu zum Thema Gesetz:
„Nicht auflösen“ entspricht dem Festhalten am Gesetz Gottes und der Forderung, vom mechanischen Befolgen („Du sollst nicht“, 5,27) zur Motivation der Liebe zu finden („in seinem Herzen“ ebd.).
Diese Dimension des „Neuen“ dürfte auch in dem Begriff „erfüllen“ enthalten sein, der für Matthäus nicht einfach für ein „tun“ steht, sondern bedeutet, das Gesetz endzeitlich zur Vollendung bringen.
Der Dekalog im Matthäusevangelium
Um zu bekräftigen, dass im Matthäusevangelium der Dekalog als gültiges Gesetz enthalten ist, sollen hier die Zehn Gebote des 2. Mosebuches bei Matthäus gesucht werden.
1. Gebot – Autorität und Alleinstellung Gottes (vgl. 2. Mose 20,2.3.
Bei Matthäus: „Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. … Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit …“ (5,21.33.)
2. Gebot – Keine Bilderanbetung 2. Mose 20,4-6
Bei Matthäus: Bekräftigung: „Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.“ Matthäus 4,10
3. Gebot: – Kein Missbrauch des Namens Gottes 2. Mose 20,7
Bei Matthäus: „nicht plappern wie die Heiden“ (vgl. Matthäus 6,7
4. Gebot – Sabbatheiligung 2. Mose 10,8-11
Bei Matthäus: Der Tag nach dem Sabbat wird als „erster Tag der Woche“ bezeichnet. (vgl. Matthäus 28,1 Jesu Klarstellung, „Der Menschensohn ist ein Herr über den Sabbat.“ Matthäus 12,8 , und sein Verhalten am Sabbat (z.B. Heilen, vgl. Matthäus 12,9-13 brachte den Sabbat wieder in die Stellung des Segens für die Menschen. Eine Auflösung des Sabbatgebotes ist im Matthäusevangelium nicht nachweisbar, wie in der restlichen Bibel übrigens auch nicht.
5. Gebot – Eltern ehren 2. Mose 20,12
Bei Matthäus: Erwähnung der Liebe zu den Eltern in der Betonung, dass die Liebe zu Jesus höher angesiedelt sein sollte. (vgl. Matthäus 10, 35-37
6. Gebot – Nicht töten 2. Mose 20,13
Bei Matthäus: „Selig sind die Friedfertigen“, selbst Streit und böse Worte auf der Stufe des einander Verletzens (vgl. Matthäus 5,9.22.
7. Gebot – kein Ehebruch 2. Mose 20,14; 19,1-12
Bei Matthäus: Ehebruch schon in der Phantasie, im Wünschen und Denken verboten (5,27-30)
8. Gebot – Nicht stehlen 2. Mose 20,15
Bei Matthäus. „Zöllner und Sünder“ (vgl. Matthäus 9,10 waren bekannt dafür, mehr Zoll zu nehmen als recht war.
9. Gebot – Nicht lügen. 2. Mose 20,16
Bei Matthäus: Der Tadel gegen die Pharisäer hatte viel mit deren Heuchelei und Unaufrichtigkeit (Lüge) zu tun. (vgl. Matthäus 23,1-26
10. Gebot – nicht begehren 2. Mose 20,17.18.
Bei Matthäus: keine Gier nach Besitz und Sorgen ums Alltägliche (vgl. Matthäus 6, 19.31.
Thoraverschärfung ↔ Thorentschärfung
Jesus verschärfte ethische Normen, in denen eine Tendenz zu einem universalen Ethos deutlich ist:
Das erste Gebot Matthäus 6,24 und das Gebot der Nächstenliebe (vgl. Matthäus 5,43-48 gepaart mit dem Verbot des Tötens und des Ehebruchs (vgl. Matthäus 5,22.28 beschreiben eine Lebenswirklichkeit, die an den Garten Eden erinnert oder auf die künftige neue Erde weist.
In den Antithesen Matthäus 5,21 ff) wird die Thora nicht kritisiert, nicht aufgehoben – sie wird transzendiert. Jesus relativiert rituelle Normen, durch die das Judentum vom Heidentum getrennt wird – ohne sie grundsätzlich aufzuheben. Vielmehr wird ihnen das Sozialgebot übergeordnet:
Das Zehntengebot ist, wenn es als übergenaues Rechenexempel ohne Herz gelebt wird, unwichtiger als soziale Verpflichtungen Matthäus 23,23 : Recht, Barmherzigkeit u. Glaube statt Verzehnten von Minze, Dill u. Kümmel).
Die Verunreinigung erfolgt durch die bösen Gedanken des Herzens, nicht durch Essen mit ungewaschenen Händen Matthäus 15,18-20 . Das Opfergebot steht dem Versöhnungsgebot nach
Matthäus 5,23 f: „Darum, wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass dort vor dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe.“
Nicht äußere Reinheit steht an erster Stelle, sondern: „[…] reinige zuerst das Innere des Bechers, damit auch das Äußere rein werde!“ Matthäus 23,25 f)
Dem alttestamentlichen Grundsatz der Wiedervergeltung wird das absolute Gebot der Feindesliebe entgegengestellt. Matthäus 5,43-49 : „[…] Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen […]“
Beide Tendenzen, die Thoraverschärfung und – entschärfung, sollen die jüdische Identität wahren: Die verschärften Gebote sollen die jüdischen Anhänger Jesu vorbildlich umsetzen. Die entschärften Gebote sollen Randgruppen reintegrieren. Die Glaubensethik des Matthäusevangeliums ist ein Programm, das auf die Wiederherstellung Israels zielt, einem großen Israel aus geborenen Gläubigen, die Jesus annehmen, und im Glauben gezeugten Nachfolgern Jesu.
Die Auslegung Jesu der alttestamentlichen Gesetze erfolgt am Maßstab, den Matthäus als Zusammenfassung von Gesetz und Propheten nennt: das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe bzw. die »goldene Regel« (vgl. Matthäus 7,12; s.u.). Wer dieses Gebot in der Weise befolgt, wie Jesus es auslegt (vgl. 5,21-7,11), erfüllt damit auch den Gotteswillen, wie er in Gesetz und Propheten ausgedrückt ist (vgl. 7,12).
Gerechtigkeit
Der Zuspruch Gottes an den Menschen, der in Jesu Wort und Tat sichtbar wird, stellt an den Menschen den Anspruch, sich entsprechend zu verhalten, vgl. als maßgeblichen Text die Bergpredigt (Matthäus 5-7). Entscheidend wird vom Tun der „Gerechtigkeit“ gesprochen Matthäus 5,20 ff; 6,1ff), das sich im konkreten Tun des Willens Gottes zeigt Matthäus 7,21; 12,50 . Hier stellt sich die Frage, wodurch die Nachfolger Jesu „besser als die Schriftgelehrten und Pharisäer“ sein könnten, wenn diese schon mit einer Vielzahl von Vorschriften meinten, sich den Himmel zu verdienen? (vgl. Matthäus 5,20 Kapitel 7 spricht vom Fruchtbringen, das wiederum nur möglich ist, wenn die Verbindung zum guten Baum besteht. Die unbedingte Heilszusage Gottes an den Menschen verlangt von diesem ein entsprechendes Verhalten. Verhält er sich ablehnend, so hat er die Konsequenzen seines Tuns zu tragen (vgl. Matthäus 18,23-35; 22,1-14; 25,31-46 . Das Heil Gottes ist ein Geschenk der Barmherzigkeit, Gnade und Liebe Gottes. Wer dieses Geschenk annimmt, entscheidet sich dafür, selbst barmherzig, gnädig und liebend durch diese Welt zu gehen. „Liebet eure Feinde“ (vgl. Matthäus 5,44 , Vergebung untereinander (vgl. Matthäus 6,14 und die Nächstenliebe zeugen davon (vgl. Matthäus 22,39 .
Der Glaube wird hier von einer Theorie oder einem bloßen Bekenntnis, „Herr, Herr“, (vgl. Matthäus 7,21 in ein Leben der Tat aus Glauben verwandelt. Jesus spricht vom „Hören“ und „Tun“ seiner Worte (vgl. Matthäus 7,24 und ruft die Sünder: „Folgt mir nach!“ (vgl. Matthäus 4,19 Damit ruft er aus ein Leben in Ungerechtigkeit vor Gott und in ungerechtem Verhalten (Sünde) in ein völlig neues Leben, das schon auf der Erde beginnt und bis in die Ewigkeit reicht. (vgl. Matthäus 9,13
Wenn Jesus fordert: „Tut Buße“ (vgl. Matthäus 4,17 beinhaltet dies: Schaut euer Leben an! Vergleicht es mit dem Willen Gottes! Lasst die Sünde sein und lebt nach Gottes Willen!
Gott vergibt die Sünde. Doch er stellt nach der Vergebung den Menschen in einen Kriegszustand der Sünde gegenüber. Wenn Jesus erklärt, dass die Gerechten keinen Arzt benötigen (vgl. Matthäus 9,13 , so heißt das im Umkehrschluss: Jesus möchte die Menschen heilen – nicht nur von den physischen Leiden, sondern von der Sündenkrankheit. Der Ungehorsam dem Willen Gottes gegenüber (Sünde) wird als nicht passend zu einem christlichen Leben angesehen. Dieser Kampf gegen die Sünde erstreckt sich über die gesamte Lebenszeit, denn „wer aber bis ans Ende beharrt, der wird selig werden.“ Matthäus 10,22
Die „guten Werke“ erwirtschaften allerdings kein Heil, sondern dienen der Verherrlichung Gottes. (vgl. Matthäus 5,16
Was brachte Abel Gerechtigkeit?
Interessant in diesem Kontext ist die Nennung Abels als „gerecht“. (vgl. Matthäus 23,35 . Der Schreiber des Evangeliums geht nicht näher darauf ein, so dass angenommen werden kann, die Geschichte Abels war den Empfängern des Evangeliums bekannt. Dieser Sohn Adams und Evas tritt nur relativ kurz in der Bibel auf und wir dürfen ihn uns als jungen Mann vorstellen. Wie sollte er geschafft haben, vor Gott Gerechtigkeit zu erlangen? Hier lohnt ein Blick in 1. Mose 4,4 : „Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer“. Kain, der Früchte auf den Altar gelegt hatte, erlange kein Wohlwollen bei Gott. (vgl. 1. Mose 4,3.5. Warum erwähnt Jesus am Ende seiner Tadelrede an die Lehrer und religiösen Wächter Israels diesen längst verstorbenen Abel? Abel, der Schäfer (vgl. Vers 2), opferte ein Schaf. Das war offensichtlich das Opfer, das Gott haben wollte und das er gemeint hatte als Weg, um Gerechtigkeit zu erlangen. Das Lamm, das Opferlamm, war seit dem Sündenfall das Symbol auf das Opfer Jesu. Diese Erklärung deckt sich mit der Beschreibung Jesu über sich selbst als Opfer. Seinen Leib, der zerbrochen würde wie das Brot und sein Blut, das zur Vergebung der Sünden vergossen würde, beschreibt in der Abendmahlsszene, wie Gerechtigkeit vor Gott erlangt wird. (vgl. Matthäus 26,26-28 Die Passion Jesu, die das Matthäusevangelium ausführlich beschreibt, ist der Weg, den Gottes Sohn ging, um den Sündern in seinem Opfer Gerechtigkeit zu schenken. (vgl. Matthäus Kapitel 26 und 27) Der als gerecht bezeichnete Abel war mit ziemlicher Sicherheit kein fehlerloser junger Mann. Was ihn auszeichnete war, dass er mit einem Opferlamm vor Gott trat. Dies allein ist der Weg, um Gerechtigkeit zu erlangen. Darauf bezog sich Matthäus 23,35.
Der Evangelist zielt angesichts der nahen Gottesherrschaft darauf ab, das Gesetz im Sinne einer „besseren“, d.h. reicheren „Gerechtigkeit“ zu vollziehen (vgl. Matthäus 5,20 . Gemeint ist die helfende, heilbringende Gerechtigkeit, die in der Königsherrschaft (βασιλεία) ganz geoffenbart werden wird (vgl. Matthäus 6,33 und in der Vollkommenheit (vgl. Matthäus 5,48 Gestalt gewinnt. Das bedeutet: Gottes Willen ist nach wie vor erkennbar – auch in nur einem einzigen Bibelbuch – und umzusetzen. Gottes Wesen drückt sich in seinem Gesetz aus. Das ewige Reich Gottes basiert auf diesem Gesetz. Dieses Reich der Liebe kann schon heute hier beginnen.
Konsequenzen
Gesetzmäßigkeiten, die der Evangelist skizziert, beschreiben das Ursache-Wirk-Prinzip. „Nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden…“ Matthäus 7,1 „Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“ Matthäus 6,15 Schon die Jünger Jesu fragten nach dem Lohn der Nachfolge. „Das ewige Leben“ lautet die Antwort. (vgl. Matthäus 19,27-29
Im Rahmen der Verbindung von Heilszuspruch und der Aufforderung zu einem gottgefälligen Leben soll der Verweis auf das Gericht die Ernsthaftigkeit des Anspruchs an den Menschen unterstreichen.
Das Matthäusevangelium greift alle Elemente des großen Erlösungsplanes auf. Von Sünde und Umkehr wird ebenso gesprochen wie von der Wiederkunft Jesu (vgl. Matthäus 10,23 . Jesus stellt in Aussicht, dass das Tun eines Menschen durchaus Einfluss auf sein Seelenheil habe (vgl. Matthäus 16,27 , und kommt damit den alttestamentlichen „Tun-Ergehen-Zusammenhang“ nahe (vgl. 5. Mose 11,26-28 . Dabei stehen Liebe und Vergebung immer wieder im Vordergrund. (vgl. Matthäus 18,21-35 Bei der Betonung des Gebotehaltens durch Jesus, wollten auch die Jünger verzagen, denn sie fragten sich: „Ja, wer kann dann selig werden?“ Jesus verdeutlichte in seiner Antwort, „Bei den Menschen ist´s unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich.“ Matthäus 19,16-26 , dass Gott selbst derjenige ist, der dem Menschen im Glaubensleben hilft. Was hauptsächlich nötig ist, um Gottes Gesetz zu verstehen und auszuleben, ist die Liebe, die nur Jesus schenken kann und der Mensch empfangen und ausleben darf. Alles, was Gottes Willen entspricht, hat entweder mit der Liebe des Menschen zu ihm oder zueinander zu tun. Die Aufzählung der Taten für andere, die Jesus als für ihn getan bezeichnet, entspringt der Liebe. (vgl. Matthäus 25,31-46
Christus – die Gerechtigkeit des Menschen
Matthäus 20,28 („der Menschensohn … gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele“) weist auf die Gesetze des Alten Bundes, das Zeremonialgesetz, das symbolisch auf Christus (den Erlöser) weist und in dessen Leiden, Tod und Auferstehung erfüllt wurde. Als äußeres Zeichen, dass dieser Gedankengang durchaus berechtigt ist, erwähnt der Evangelist das Zerreißen des Vorhangs im Tempel. (vgl. Matthäus 27,51 Die Opferungen im Tempel, die Dienste im Heiligen und Allerheiligsten waren nicht mehr nötig. Der streng abgeschirmte Bereich des Allerheiligsten lag nun sichtbar da. Etwas Neues war an die Stelle dieser Gesetzespraktiken getreten, der neue Bund – die Erlangung der Gerechtigkeit durch die Annahme des Opfers Jesu. Was Abel einst glaubte und als Symbol vollzog, hatte sich nun erfüllt.
Für den Evangelisten ist auch wesentlich, dass Jesus die Gültigkeit und Interpretation des Gesetzes begründet. Dessen Legitimation lautet: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Matthäus 28,18 Wer wäre in der Lage, Jesus mit dieser Macht auszustatten? Der, in dessen Namen Jesus kam und wirkte und den er „meinen Vater“ nennt. (vgl. Matthäus 11,27; 26,39 Die Themen Gesetz und Gerechtigkeit sind nicht losgelöst von Gott, dem Vater, zu betrachten.
Das Matthäusevangelium macht deutlich, dass das jüdische Geburtsrecht nicht gleichbedeutend für die Erlangung des ewigen Lebens steht. „Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Issak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die Finsternis …“ Matthäus 8,11.12. So lädt auch das Matthäusevangelium schon die Heiden zum Leben in der Annahme des Opfers Jesu und der Nachfolge ein, also zu einem Leben nach dem Willen (den Gesetzen) Gottes. „Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel“, sagt Jesus, „der ist mir Bruder und Schwester und Mutter.“ Matthäus 12,50
Den Abschluss des Evangeliums bildet die Zusage der stetigen Präsenz Jesu im Leben seiner Nachfolger: „… ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Matthäus 28,20
Jesus ist da – mit seiner Gerechtigkeit und mit dem Gesetz Gottes. Diese Verbindung schlängelt sich als „roter Faden“ durch das Matthäusevangelium und das Leben der Christen.