Glauben heißt mit Gott rechnen
15. Juni 2022Ein Schrei in der Nacht
2. Januar 2023„Lux lucet in tenebris“
Licht leuchtet in der Finsternis.
„Lux lucet in tenebris“ heißt es bis heute auf dem Wappen der Waldenser. Ihr Wahlspruch wurde vom Bibeltext in Johannes 1,5 abgeleitet: „Und das Licht scheint in der Finsternis…“
Manche meiner Schulkameraden trugen fremdklingende Namen. Wir, die Kinder mit den deutschen Namen, hinterfragten sie nicht. Für uns war es einfach so. Jedoch diese Kinder waren die Nachfahren der einst aus dem Piemont vertriebenen Waldenser, welche vor Jahrhunderten bei uns Aufnahme fanden. Ich erinnere mich noch an Namen wie: Cordier, Gille, Roux, Conle, Common, Vallon, Jourdan, Jouvenal, Piston, Servay, Talmon, Conte oder Baral.
Warum schrieb Ellen G. White in ihrem epochalen Werk über die Religionsgeschichte des Abendlandes, „Der große Kampf zwischen Licht und Finsternis“ das Kapitel 4, „Die Waldenser“? Was haben Waldenser und Adventisten gemeinsam? Was wissen wir über die Waldenser?
Der 300. Todestag ihres Anführers und Pfarrers Henry Arnaud (15. Juli 1643 – 08. September 1721) war uns Anlass, ihre Geschichte, mit dem Blick von heute, nachzuzeichnen.
Historischer Beginn
„Zu jeder Zeit gab es Zeugen für Gott – Menschen, die den Glauben an Christus als den einzigen Vermittler zwischen Gott und den Menschen werthielten, denen die Bibel als einzige Richtschnur des Lebens galt und die den wahren Sabbat feierten.“ (Ellen White, Der große Kampf, Ausg. 1973, S 62)
Beginnend mit den ersten Verfolgungen der Urchristen war Gottes Volk nahezu immer Repressalien und dem Tod ausgesetzt. Zu allen Zeiten waren Gebirge und unwegsame Gegenden der Zufluchtsort für Verfolgte und Unterdrückte. (vgl. White, Ellen, Der Große Kampf, Ausg. 1973, S 65f) Sie hatten das Glaubensgut der Urchristen mitgenommen und lebten danach. Die Geschichte berichtet, dass die Waldenser in den abgeschiedenen Tälern und Seitentälern des Piemonts Zuflucht suchten. (vgl. www.youtube.com/watch?v=Y9dDPpBG5vM) „Hinter den hohen Bollwerken des Gebirges … bewahrten 1000 Jahre lang Zeugen der Wahrheit den alten Glauben.“ (White, Ellen, Der Große Kampf, Ausg. 1973, S 65f) Piemont (lat.) bedeutet am ‚Fuß der Berge‘. Die Aussage der Botin Gottes „1000 Jahre lang“ stellt die Brücke zwischen den Waldensern und den Urchristen dar. „Die Gemeinden der Waldenser glichen in ihrer Reinheit und Schlichtheit der Gemeinde zu den Zeiten der Apostel. … Weit abgelegen von den Denkmälern weltlicher Pracht und Ehre versammelte sich das Volk nicht in stattlichen Kirchen oder großartigen Kathedralen, sondern im Schatten der Gebirge, in den Alpentälern oder, in den Zeiten der Gefahr, in dieser und jeder Felsenfeste, um der Wahrheit aus dem Munde der Diener Christi zu lauschen.“ (White, Ellen, Der Große Kampf, Ausg. 1973, S 68) „In diesen von der Welt abgeschlossenen wilden Gebirgen lebten die Waldenser … unwandelbar … fort. … Ihre geistlichen Väter verkündigten ihnen in den freien Höhen den Gott der Freiheit und das unverfälschte Evangelium, welches die Apostel aus dem Munde Jesu empfingen. Ihre Kirche war der des Urchristentums nachgebildet.“ (Francke, Heinrich; Arnold von Brescia und seine Zeit; Zürich, 1825, Abschrift S. 2)
Eine ganz vom Papsttum geprägte Kirche strebte im 12. Jahrhundert dem Zenit der weltlichen Macht entgegen. Nach und nach war es dem Papsttum gelungen, Kaiser und Könige unter seinen Einfluss zu bringen. So „übernahm die Kirche Herrscherfunktionen im weltlichen Bereich. Notwendigerweise geriet sie damit in den Zwang, sich auch weltlicher Mittel zu bedienen; der politischen Bündnisse, der Taktik, der Bestechung, des Aufbaus eigener Macht.“ (Fröhlich Roland; Zeichen unter den Völkern, S. 104, Verlag des Borromäusvereins Bonn, 1992) Die säkularen Herrscher beugten sich der Macht und Stärke dieser religiösen Institution. Als Folge davon vertauschte die Kirche mehr und mehr das Thema Glaube mit dem Thema Macht. Dieser Aufstieg geschah auf dem Rücken der einfachen Bevölkerung und produzierte einen wohlversorgten Klerus, der sich immer mehr von der damals landwirtschaftlich geprägten, meist armen, Bevölkerung entfernte. Die religiöse Lehre und deren Auslegung lag ausschließlich in der Hand des katholischen Klerus.
Petrus Valdes
Lyon war eine wohlhabende Handelsstadt am Zusammenfluss von Rhone und Saône. Dort lebte auch Petrus Valdes, 1140 – 1217? (oder auch Waldes), einer der reichsten Bürger der Stadt. Damals blühten die Städte auf, ein florierender Handel entstand und Geld ersetzte Ware als Zahlungsmittel. Eines Tages brach einer seiner Freunde tot zusammen. Plötzlich „gerät der so sehr auf Materialismus ausgerichtete Lebensstil von Valdes ins Wanken“. (Uhlmann, Peter, Pierre Waldes und die Waldenserbewegung, S. 4 – www.peteruhlmann.ch) Von Gottes Geist geleitet, widmete er sich mit Hingabe und Ausdauer dem Bibelstudium. Davon inspiriert, bat er den Priester Stephan de Ansa, Teile der lateinischen Bibel, der Vulgata, in den provenzalischen Dialekt, die Umgangssprache der dortigen Menschen, zu übersetzen. Die Texte konnten damit nicht nur vom ihm selbst, sondern auch vom einfachen Volk gelesen und verstanden werden. Angetan von der Aussage Jesu in Matth. 19,21: „Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib‘s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach!“ (Luther 2017) versorgte er Frau und Töchter und verteilte seine restliche Habe an die Armen von Lyon. So entstand auch der Begriff: „Die Armen von Lyon“.
„Um die schlimmen Auswirkungen einer Hungersnot zu lindern, beginnt Valdes – wahrscheinlich war es das Jahr 1177 – die Armen in Lyon öffentlich zu speisen. Zugleich predigte er das eben übersetzte Wort Gottes diesen meist einfachen Leuten.“ (Uhlmann S. 7)
Valdes las die Texte der übersetzten Bibel immer wieder und lernte sie so auswendig. (ebd.) Eine weitere Aussage Jesu beeinflusste sein Leben: „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur.“ Markus 16,15. „Alle Welt“ begann für ihn zuhause. Er predigte auf den Straßen und Plätzen in Lyon und rief die Menschen dazu auf, umzukehren zu einem den Weisungen Jesu entsprechendem Leben. Gottes Geist war mit ihm und er versammelte viele Männer und Frauen um sich. Sie glaubten, dass das Ende aller Dinge nicht mehr fern sei. Indem sie die Heilige Schrift unter Gebet und Tränen erforschten, machten ihre köstlichen Aussagen einen umso tieferen Eindruck, und sie erkannten deutlicher ihre Pflicht, anderen die darin enthaltenen heilsbringenden Wahrheiten mitzuteilen.“ (White, Ellen, Der Große Kampf, Ausg. 1973, S 72)
„Er schickte sie auch überall in die umliegenden Dörfer, um zu predigen.“ (Seifert, Pwalik; Geheime Schriften Mittelalterlicher Sekten, Regensburg 1987, 325 f.) „Dank der überall wachsenden Selbständigkeit der Laien fand es [die Bewegung] eine unerwartete schnelle Verbreitung.“ (Träder/Lüpke, Kirchengeschichte I, Europäisches Institut für Fernstudium, Bern 1979, S. 287) Begünstigt wurde dies, durch die allseits „bekannten Mängel und Missstände der Kirche.“(ebd.)
Nach dem Studium der biblischen Bücher des Propheten Daniel und der Offenbarung des Johannes erwarteten die Waldenser im 11. Jahrhundert den Antichristen und den Untergang der Welt. … Desweiteren wurde besonderer Fleiß auf den Unterricht der Jugend gelegt. (Franke, Heinrich, Abschrift S. 6)
Der entstandene Konflikt
Ausgehend vom Selbstverständnis der katholischen Kirche, begingen Valdes Anhänger zwei entscheidende „Fehler“. „Ihre Hauptanziehungskraft, sogleich ihr originellster Zug, war ein strenger Biblizismus. Valdes begehrte nichts anderes, als nach den Worten des Evangeliums zu leben.“ (ebd.) Sie beriefen sich auf die Bibel und begründeten den Inhalt ihrer Reden damit. Somit untergruben sie die Lehrautorität, die die katholische Kirche für sich beanspruchte, die katholische Sukzession: „Außer den Priestern des Herrn wage es niemand – gleich ob Mönche oder Laie – zu predigen.“ (Uhlmann S. 13 Papst Leo I.)
Stephan von Bourbon (1161-1261), einer der ersten päpstlichen Inquisitoren, bezeichnete die Waldenser als „stümperhafte ungebildete Laien“, die „aber aufgrund ihrer Oberflächlichkeit und ihres Unwissens ringsum viele Irrtümer verbreiteten.“ (Seifert S. 325 f.)
Bald wurde Valdes zum Erzbischof von Lyon, Guichard, vorgeladen. Dieser verbot Valdes und seinen Anhängern jegliche Predigttätigkeit. (Uhlmann S. 9) Doch Valdes ließ sich nicht einschüchtern. Steht nicht in der Bibel: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen…“ Apg. 5,29. Der biblische Missionsauftrag diente ihm als Motivation: „Geht hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur.“ Mark. 16,15.
Petrus Valdes erkannte den Konflikt und die daraus entstehenden Schwierigkeiten. Im Zuge des III. Laterankonzils 1179 wendet sich Valdes an Papst Alexander III., um eine offizielle päpstliche Lehrerlaubnis zu erhalten. In einer Nebensitzung des Konzils wurden Petrus Valdes und sein engster Mitarbeiter Vivet von der katholischen Geistlichkeit verlacht und als „ungebildete und dumme Leute“ beschrieben. Papst Alexander III. jedoch gab Valdes den rituellen Friedenskuss und umarmte ihn. (ebd. S.11) Dieser billigte die Lebensweise der Anhänger Valdes und erteilte, geschickt verpackt, die gewünschte Predigterlaubnis. Trickreich insoweit, da sie die Redeerlaubnis vom jeweiligen örtlichen Bischof einholen mussten.
Für kurze Zeit können Valdes und seine Anhänger auf Basis der nun errungenen Predigterlaubnis der Verkündigung unter dem Lyoner Erzbischof Guichard (gest. 1181) legal nachkommen. Doch schon mit dessen Nachfolger Jean Bellesmains (gest. um 1204), ein erklärter Gegner der Waldenser, änderte sich die Situation grundlegend. Er verbot Valdes und seinen Anhängern, die Bibel auszulegen und zu predigen. (Uhlmann S. 14)Valdes wiederum verteidigte sich mit dem Bibeltext aus: Apg. 5,29: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“
Valdes wurde 1182/83 exkommuniziert und mit rund 8000 Anhängern aus Lyon vertrieben. Beim Konzil in Verona (1184) wurden sie erstmals als Häretiker (Ketzer) bezeichnet und mit dauerndem Ausschluss aus der katholischen Gemeinschaft belegt. Diese Konzilsbeschlüsse bahnten der Inquisition den Weg. In Metz (1200) und Lüttich (1203) wurden Waldenser-Bücher und Bibeln verbrannt. (ebd. S. 15)
Nicht genug, Kaiser Friedrich I, (auch genannt Barbarossa), deutscher Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, verhängte die Reichsacht über die Waldenser und andere. Er vollzog den Beschluss des Konzils zu Verona und entsprach mit seinen Ketzergesetzen dem Willen Roms. (Träder/Lüpke S. 289)
Wie später Martin Luther, wollte Valdes die katholische Kirche nicht verlassen, sondern auf Basis der Bibel reformieren. (Uhlmann S. 16) Der Waldenser Durandus von Osca kommentierte dies: „Unser Weg ist in der Hinsicht neu, dass er sich ganz auf die Autorität des Neuen Testaments stützt. Unser Glaube und unser Lebensstil besitzen gerade im Evangelium ihre Bürgschaft.“ (Uhlmann S. 17)
Unter Papst Innozenz III. erfolgte beim IV. Laterankonzil die nächste Verurteilung. Um das Jahre 1208 spalteten sich die Waldenser und ein Teil kehrte zur katholischen Kirche zurück. (vgl. https://www.youtube.com/watch?v=9TWDAF-qvF8 – 16.09.2021) Es wurde berichtet, dass Im Jahre 1211 in Straßburg 80 standhafte Waldenser verbrannt wurden. (vgl. ebd.)
Einer der „ketzerischen“ Vorwürfe lautete: „Sie glauben und lehren, man solle Gott allein durch Christus im Geist und im Glauben anbeten.“ (Fliedner, Heinrich, Ein Märtyrervolk ohnegleichen, Lahr-Dinglingen 1910 ? – Abschrift)
Das biblische Gedankengut steht mit der katholischen Lehre (Tradition über der Bibel) in dauerndem Konflikt. So war es nicht verwunderlich, dass, im Jahre 1218 bereits dokumentiert, unbiblische Lehren, wie das Fegefeuer, die Heiligenverehrung, die Kirchensatzungen und die Eidesleistung von den Waldensern abgelehnt wurden.
Um die Waldenser an ihrem Lebensnerv zu treffen, beschlossen die Bischöfe auf dem Konzil in Toulouse im Jahre 1229: „Wir verbieten, dass man den Laien erlaube, Bücher des Alten oder Neuen Testaments zu besitzen…. Aber ausdrücklich verbieten wir auch für diese Bücher, dass sie in der Sprache des Volkes geschrieben seien. Wir befehlen, dass die Häuser, die bescheidensten Hütten, ja selbst die unterirdischen Verstecke jener Menschen zerstört werden müssen, welche des Besitzes der Heiligen Schrift überführt sind. Diese Personen sind zu verfolgen … damit man sie streng bestrafe, genauso wie auch jene, die ihnen Unterschlupf gewähren.“ (Uhlmann S. 22)
Dieses Bibelverbot wird im Jahre 1234 in der Synode von Tarragona bestätigt.
Zu größeren Wellen der Verfolgung durch die kirchliche Inquisition kam es mit der Einführung der päpstlichen Inquisitionsverfahren in den Jahren 1230/40. Die Vertreibung der „Armen von Lyon“ führte, von den Katholiken nicht bedacht, erst recht zu einer Verbreitung des biblischen Gedankenguts in vielen Gegenden Europas. Die Vertriebenen nahmen ihre Glaubensüberzeugung selbstverständlich mit in ihren neuen Lebensraum. Im Herzogtum Oberösterreich, um die ‚Protestantenstadt Steyr‘ (Rathmair, Waldenser, Täufer, Reformation und Gegenreformation, www.rathmair.eu, 2016, in der Stadt Steyr S.2), wird um das Jahr 1315 von 80 000 Waldensern berichtet. Bis nach Siebenbürgen zogen die vertriebenen Waldenser. (Träder/Lüpke. S. 290) Petrus Valdes, ebenfalls vertrieben, soll sich in Böhmen niedergelassen haben und dort auch verstorben sein. ( Fliedner, Heinrich, und Lüpke/träder S. 291)
Wir sehen hier eine Parallele zu den Christenverfolgungen während der Zeit nach Christi Tod. Die Verfolgten flohen damals in andere Regionen des Römischen Reiches und bauten dort christusgläubige Gemeinden, denen die Bibel allein gültige Richtschnur für ihr Leben war.
Stephan von Bourbon (1190-1261), einer der ersten dominikanischen Inquisitoren, musste, entgegen seiner früher geäußerten Meinung (vgl. Fußnote 18), die Bildung der Waldenser anerkennen: „Die Waldenser kennen gut das apostolische Glaubensbekenntnis, lernen das Evangelium des Neuen Testaments in der Sprache des Volkes auswendig und wiederholen es dann laut für andere. … Ich habe auch Laien gesehen, die auswendig große Teile des Matthäus- und Lukas-Evangeliums rezitieren konnten, besonders all das, was Lehren und Ausführungen unseres Herrn enthält. Die Worte des Herrn verstehen sie getreu und mit nur unbedeutenden Fehlern zu wiederholen.“ Weiter berichtet er, dass ein anderer Waldenser das ganze Neue Testament rezitieren konnte. (Uhlmann S. 19)
Dem damaligen Papst Innozenz IV. war die Verfolgung von Häretikern ein wichtiges Anliegen. Dies verstehen wir besser, wenn wir uns die sicherlich übertriebene Aussage eines Inquisitors aus der Grafschaft Artois, Nordfrankreich, vor Augen führen, der den Erfolg der Waldenser halb ärgerlich, halb anerkennend, mit den Worten kommentierte: „Ein Drittel der Welt besteht aus Waldensern.“ (Rathmair S. 3)
Eine andere Aussage bestätigt dies: „ein Waldenser könne von Mailand bis Köln wandern und jede Nacht bei einem Glaubensbruder einkehren.“ (Fliedner, Heinrich – Abschrift)
Vor diesem Hintergrund erließ Papst Innozenz IV. am 15.05.1552 die Bulle Ad Extirpanda, die bald die allgemein anerkannte Norm für Inquisitionsverfahren wurde. Bei Verhören von Andersdenkenden war nun die Folter erlaubt. (www.wikipedia.org/wiki/Innozenz_IV. – 19.09.2021)
Die Waldenser und der Sabbat
In der Heiligen Schrift gibt es weder einen Beweis noch eine Aufforderung, den Sonntag zu feiern. Die Waldenser hatten nur die Bibel als Grundlage. Folglich war der Sabbat ihr Ruhetag.
„Auch in den finsteren Zeiten des Abfalls gab es Waldenser, die die Oberherrschaft Roms bestritten, die Bilderverehrung als Götzendienst verwarfen und den wahren Sabbat feierten.“ (White, Ellen, Der Große Kampf, Ausg. 1973, S 65)
„Unter den grimmigsten Stürmen des Widerstandes bewahrten sie ihren Glauben. Obwohl von savoyischen Speeren durchbohrt und von römischen Brandfackeln versengt, standen sie unentwegt für Gottes Wort und Gottes Ehre ein.“ (White, Ellen, Der Große Kampf, Ausg. 1973, S 65)
„Man nannte die Waldenser … oft auch ‚Sabbatati‘ oder ‚Insabbatati‘.“ (Rräder/Lüpke S. 289) Mindestens von den Waldensern in der Picardie (Nordfrankreich) und der Provence ist dokumentiert, dass sie den Sabbat hielten. „… feierten in der Tat den Sabbat mit den Juden…‘“. (ebd.) Franz Xaver Kraus (1840-1901) schreibt in seinem 1887 erschienenen Werk: „Lehrbuch der Kirchengeschichte …“, dass sie „die mosai-schen Ritualgesetze und die Beschneidung beibehielten“ und somit auch den Sabbat feierten. (ebd.)
Frühe Quellen deuten darauf hin, dass die Waldenser während der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts tatsächlich den Sabbat geheiligt haben. Sie stammen aus einer fünfbändigen Buchsammlung, geschrieben etwa 1241 – 1244 vom Dominikanerpater Moneta von Cremona. Dessen Abhandlung beweist eindeutig, dass während des 13. Jahrhunderts eine beträchtliche Gruppe von Waldensern … in Norditalien und Südfrankreich an einem anderen Tag als dem Sonntag ihren Gottesdienst hielten – und zwar am siebten Wochentag, dem Sabbat. (Adventist World Sept. 2017; S. 15)
Durch die Vertreibung der Waldenser aus ihrer angestammten Heimat siedelten sich nicht wenige in Böhmen und Mähren an. Es wird auch von Verbindungen zu den dortigen Hussiten berichtet. Ein Manuskript berichtet über die Waldenser in Böhmen: „Doch nicht wenige feiern den Sabbat mit den Juden.“ (ebd.)
Im Frühjahr 1420 wurden Waldenser in Arras (Nordfrankreich) verhaftet und vom Inquisitionsgericht zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Der Urteilsspruch und die Begründung sind überliefert. Dort lesen wir, dass die Verurteilten „ihren Sabbat am Sonnabend beobachten“. Sogar der Pfarrer Thulin wird gesondert genannt, dass er „den Sabbat am Sonnabend hielt.“ (www.jetzt-ist-sabbat.de/der-sabbat/sabbat-oder-sonntag/93-andere-sabbathaltende-christen/238-die-waldenser-und-der-sabbat – 26.09.2021)
„Offensichtlich gab es eine viel größere Zahl treuer Sabbathalter als man allgemein anzunehmen pflegt….“ (Träder/Lüpke. S. 289)
Alle Hinweise bestätigen die Aussagen im Buch: „Der große Kampf“ bezüglich der Sabbatheiligung der Waldenser.
Die Wanderprediger
Die Waldenser blieben mit ihren verbannten und vertriebenen Glaubensbrüdern in andauerndem Kontakt. Diese Verbindungen konnten zu damaliger Zeit nur mündlich gepflegt werden. Man musste reisen.
Als Händler „getarnt“, arbeiteten sie zusätzlich, ihrem biblischen Missionsauftrag folgend, als Wanderprediger. Auf diese Weise fanden sie leichter Eingang bei vielen Menschen, bei arm und reich. So bereisten und missionierten sie fast ganz Europa.
„Ein alter Chronist, Rainerius Sacconi, (1200 – 1263) entwirft uns ein anschauliches Bild von der Art und Weise ihres Wirkens: Vielfach reisten sie als wandernde Händler durch die Lande und fanden mit ihren Waren Eingang bei reich und arm. Wenn sie ins Haus traten, fragten sie mit Bescheidenheit: ,Wünschen Sie einen Ring, ein Halstuch, eine Stickerei mir abzukaufen?‘ Über dem Handeln suchte der Hausierer die Gemütsart seiner Kunden zu erforschen; und wenn er zum Schluss gefragt wurde, ob er nicht noch mehr zu verkaufen hätte, antwortete er: ,Ja, ich habe noch weit größere Kostbarkeiten, als alle die sind, welche Sie gesehen haben, und ich bin bereit, sie Ihnen mitzuteilen, wenn Sie mich den Priestern nicht verraten wollen.‘ Dieses Versprechen wurde meist gern gegeben, denn die Geistlichkeit hatte in jenen Tagen durch Herrschsucht und lasterhaftes Leben sich verhasst gemacht. ,Wir haben einen Edelstein,‘ fuhr der Waldenser fort, ,welcher so hell strahlt, dass man in seinem Licht Gott sehen und erkennen kann. Er strahlt ein solches Feuer aus, daß er das Herz zur Gottesliebe entzündet. Das unschätzbare Kleinod, welches ich meine, ist das Wort, durch welches Gott Seinen Willen offenbart.‘ Alsbald zog der Hausierer aus einer verborgenen Tasche oder einem Schubfach seines Warenkastens ein Evangelium hervor und begann daraus zu lesen: die Bergpredigt, das Gleichnis vom Sämann, vom barmherzigen Samariter und andres. Die Leute waren Auge und Ohr, denn das war ihnen alles so neu, so unbekannt und doch so überaus köstlich. Der fremde Kaufmann wurde ihnen gar bald ein lieber Gast. Sie nötigten ihn zu bleiben, um noch mehr zu hören und von seinen verborgenen Schätzen reich zu werden. (Fliedner Heinrich – Abschrift)
Leider hielten sich nicht alle der Besuchten an ihr Versprechen. Sie erzählten den Priestern von ihrem Besuch. Manch waldensischer Wanderprediger ließ für die Verkündigung des Evangeliums sein Leben und kam nicht mehr nach Hause. (https://www.youtube.com/watch?v=_SHrXsJpquw)
Die Waldenser
– ein Märtyrervolk ohnegleichen
Die Waldenser waren zunächst eine gewaltfreie, christliche Reformbewegung, die ganz im Sinne der Bergpredigt Jesu handeln und leben wollte. Dabei stießen sie früh auf den Widerstand der verfassten katholischen Kirche und bekamen mit den zunehmenden Inquisitionsverfahren immer größere Schwierigkeiten mit staatlichen Institutionen. In der Ablehnung des unbedingten Gehorsams zur Kirche, durch die Orientierung auf die Bibel, lag schon der Keim des Widerstands gegen staatliche und kirchliche Autoritäten. Im Hinblick auf die Bergpredigt lehnten sie jede Tötung eines Menschen ab. Wenn ein Christ Unrecht vom Staat erleidet oder Verfolgung droht, soll er am besten fliehen.
Leider hatten die Waldenser im 15. Jahrhundert ihre früheren Ideale diesbezüglich aufgegeben. Im Jahre 1484 im Piemont (Norditalien) und 1488 in der Dauphiné (Frankreich) griffen sie zu den Waffen. Der Anlass war in beiden Fällen die kirchlich angeordnete, von staatlichen Organen durchgeführte Verfolgung wegen Ketzerei. Organisiert wurde die-ser kollektive Widerstand von den örtlichen Gemeinden. – Jedoch – der bewaffnete Widerstand scheiterte.
Im Jahre 1532 fand in Chanforan, im Piemont, eine Konferenz mit Ältesten aus Gemeinden in Italien, aus vielen Teilen Frankreichs, deutschen Ländern, der Schweiz und vor allem Böhmen statt. Die Beschlüsse sind überliefert. Hier wurde u.a. die Frage der Waffengewalt endgültig geklärt. Im Artikel 10 finden wir: „Die Rache an einem Feind ist dem Christen nicht erlaubt, welcher Art sie auch sei.“ Auch das Töten aus Notwehr ist einem Christen nicht erlaubt.
Den Ältesten wurden handgeschriebene Bibeln gezeigt. Sie erkannten, wie nötig gedruckte französische Bibeln waren. Kurze Zeit später übersetzte Pierre-Robert Olivétan, (1505 – 1538) der Cousin von Johannes Calvin, die Bibel in die französische Sprache. Diese reformatorische Bibel, finanziert von den Waldensern, ging im Jahre 1535 in Druck. Während dieser Zeit suchten die Waldenser Kontakt zu den Protestanten im schweizerischen Genf. Infolgedessen wurde Genf zum Stützpunkt für bedrängte Protestanten in Savoyen, Piemont, im Aostatal und im Dauphiné. Genf lag nämlich außerhalb des Einflussbereichs der katholischen Kirche.
Kurze Zeit später begannen leider wieder die nächsten Schwierigkeiten: Der französische Gouverneur vom Piemont eröffnete 1538 die Verfolgung der Waldenser. Am 01. 07.1540 erlässt Franz I. von Frankreich das Edikt von Fontainebleau, welches bei Todesstrafe die Ausübung der protestantischen Religion verbot. Das Parlament von Aix-en-Provence verurteilte 22 Waldenser aus Mérindol zum Tode, der ganze Ort sollte dem Erdboden gleichgemacht werden.
Im Jahr 1545 wurde unter Führung des Barons von Oppède ein fürchterliches Massaker in 24 Dörfern des Luberon, Südfrankreich, angerichtet, bei dem mehr als 2000 Menschen umkamen. (https://de.wikipedia.org/wiki/Luberon -09.09.21) 700 Waldenser wurden auf Galeeren geschickt.(https://museeprotestant.org/de/notice/geschichte-der-waldenser – 12.09.2021) Die Überlebenden flohen ins Exil im protestantischen Genf.
„Eine [päpstliche] Bulle forderte alle Glieder der Kirche auf, sich dem Kreuzzug gegen die Ketzer [Waldenser] anzuschließen. Zur Ermunterung zu diesem grausamen Werk sprach sie alle, die am Kreuzzug teilnahmen, von allen Kirchenbußen und von allen Strafen, den allgemeinen und den persönlichen, frei, entband sie von sämtlichen Eiden, die sie geleistet haben mochten, erklärte ihre etwaigen unrechtmäßigen Ansprüche auf irgendein Besitztum als rechtsgültig und verhieß jedem, der einen Ketzer [Waldenser] tötete, den Erlass aller Sünden.“ (White, Ellen, Der Große Kampf, Ausg.. 1973, S 77)
Infolgedessen lebten die Waldenser im Piemont und in der Dauphiné während der nächsten 10 Jahre im Untergrund. In dieser Zeit wurden zwei Prediger aus Genf zur Unterstützung in die piemontesischen Täler gesandt. Deren Predigten waren so erfolgreich, dass die Waldenser Mut schöpften und ihre Gottesdienste nun öffentlich feierten. Sie beschlagnahmten katholische Kirchen und bauten auch eigene.
Dies führte wieder zu Gegenreaktionen. Dem Parlament in Turin, zuständig für das Piemont, wurde 1556 von den Waldensern ein schriftliches Glaubensbekenntnis übergeben. Eine Einschränkung des Verhältnisses zur Obrigkeit wurde jedoch formuliert. „Wir sind bereit, allen Befehlen und Anordnungen der Obrigkeiten zu gehorchen, solange sie dem heiligen Wort und Willen Gottes nicht widersprechen.“
Die Rückkehr des Herzogs Emanuel Philibert (1528-1560) von Savoyen veränderte die Lage. Ihm waren die Waldenser ein Dorn im Auge. Er verbot im Jahre 1560 den Menschen, „protestantischen Predigern“ zuzuhören. Eine Verhandlung der Waldenser mit Herzog Emanuel verlief ergebnislos. So tauchten Ende dieses Jahres 1500 Soldaten in den Tälern auf, um die Waldenser zur „Abschwörung“ zu bringen. Angesichts der militärischen Übermacht zeigte sich die Mehrheit der Waldenser gesprächsbereit und entsandte eine Delegation zum Herzog von Savoyen. Aber statt mit den Abgesandten der Waldenser zu verhandeln, verhaftete er die Unterhändler und zwang sie zu Konversion und Kapitulation.
Kalabrien
In Kalabrien gab es zahlreiche Waldensergruppen. Zu Ihnen wurde im Jahre 1560 eine Delegation der päpstlichen Inquisition einschließlich dazugehörigem Gefolge gesandt. Unter anderem sollte den von der Genfer Kirche entsandten Pastoren, Giacomo Bonello und Giovanni Luigi Pascale, der Prozess gemacht und das bereits feststehende Urteil auf dem Scheiterhaufen vollstreckt werden. Beide Pastoren wurden, wie vorgesehen, verurteilt. Der Erste wurde 1560 in Palermo verbrannt, der Zweite im gleichen Jahr in Rom. Ein nachfolgender Kreuzzug verwüstete das Gebiet. Die Waldenser Kalabriens wurden dezimiert und wer dem Massaker entkam, wurde zur Abschwörung seines reformatorischen Glaubens gezwungen. (https://museeprotestant.org/de/notice/geschichte-der-waldenser/ – 12.09.2021)
Heute gibt es in Riesi auf Sizilien den „Servizio Cristiano“, eine diakonische Einrichtung der Waldenserkirche Italiens. (https://www.chiesavaldese.org/ – 12.09.2021 und http://annee-sicile.ch/div/nachr249.html)
Die weiteren Verfolgungen
Die Waldenser-Synode entschied unter dem Eindruck aktueller Ereignisse am 02.02.1561, ihre Religion mit Waffen zu verteidigen. Kurze Zeit später nahm ihnen Herzog Emanuel zusätzlich ihre bisherigen Privilegien. Die herzoglichen Truppen gingen äußerst brutal gegen die Waldenser vor, sodass sogar Johannes Calvin (1509-1564) aufgrund ihrer Notlage den bewaffneten Widerstand als letzten Ausweg tolerierte. Rückblickend kann aber festgestellt werden, dass die militärischen Aktionen der Waldenser nicht erfolgreich waren.
Rund drei Monate später wurde der Friedensvertrag von Cavour zwischen dem Herzog von Savoyen und den Waldensern geschlossen. Sie erhielten die früheren Privilegien wieder und durften, innerhalb bestimmter Grenzen, ihren Glauben öffentlich ausleben. Sie nennen sich nun offiziell auch „Waldenser“. Damit sollte betont werden, dass ihre Geschichte nicht erst mit der Reformation begann, sondern auf die mittelalterlichen Vorfahren zurückging und die Waldenser somit die älteste reformatorische Kirche waren.
„Die Waldenser unterhalten an verschiedenen Orten „Schulen“, in denen die gebildeten Brüder mit ihren Mitbrüdern und Freunden das ,Wort des Herrn‘ … studieren.“ (Uhlmann S. 18)
Zwischen 1562 und 1598 sind acht Religionskriege in Frankreich dokumentiert. Im Laufe des 17. Jahrhunderts erhöhte sich auch der Druck auf die Waldenser im Piemont. Die savoyische Regierung ging gegen die Waldenser vor. „Immer wieder wurden ihre fruchtbaren Äcker verwüstet, ihre Wohnungen und Kapellen dem Erdboden gleichgemacht, so dass dort, wo einst blühende Felder und die Behausungen eines unschuldigen, arbeitsamen Volkes standen, nur eine wüste Einöde übrigblieb.“ (White, Ellen, Der Große Kampf, Ausg. 1973, S. 76)
Am 25. Januar 1655 erging unter Androhung der Todesstrafe ein Befehl an die Waldenser: Innerhalb von drei Tagen mussten sie ihre Häuser, die außerhalb der früheren Grenzen des Edikts von Cavour in den fruchtbaren Tälern lagen, verlassen. Sie sollten wieder in die im Jahre 1561 festgelegten Grenzen zurückkehren. Das war nichts anderes als eine klassische Enteignung und bedeutete zusätzlich, sie durften sich nur noch in den höher gelegenen Bergdörfern des Perosatals mit dessen schwierigeren Lebensbedingungen aufhalten. In diesen Höhenlagen waren die Winter härter, die Berghänge steiler, die Landwirtschaft entsprechend beschwerlicher und der Ertrag der Arbeit folglich niedriger.
Aber – diese Gegend bot den Unterdrückten einen natürlichen Schutz und Möglichkeiten zum Überleben. Am Rand des Tales türmten sich seitlich die Berge so steil auf, dass die Soldaten der Verfolger glaubten, man könne dort nicht hinauf.
Diese Berge aber hatten eine Besonderheit. Am Ende der steilen Hänge folgten flache Almwiesen. Bis auf 2000 m Höhe konnte Landwirtschaft betrieben werden. Es wird vom Anbau von Pfirsich- und Aprikosenbäumen auf diesen flachen Almwiesen berichtet. Die Waldenser bauten ihre Häuser terrassenförmig und legten auf diesen Terrassen ihre Felder an. Außerdem ist diese Gegend, besonders in höheren Lagen, für außergewöhnlich wenig Wind bekannt. Vom Talgrund bis in höhere Lagen wuchsen Kastanienbäume mit essbaren Früchten. Diese wurden im Herbst geerntet und getrocknet. Sie dienten im Winter als Nahrung. Teilweise versteckten sich die Gläubigen in Höhlen, die so groß waren, das ganze Schafherden darin untergebracht werden konnten.[1]
„Sie klagten nicht über die Härte ihres Schicksals und fühlten sich inmitten der Einsamkeit der Berge nie allein. Sie dankten Gott, dass er ihnen einen Zufluchtsort vor dem Zorn und der Grausamkeit der Menschen bereitet hatte. Sie freuten sich ihrer Freiheit, vor ihm anzubeten. Oft, wenn sie von ihren Feinden verfolgt wurden, erwies sich die Feste der Höhen als sicherer Schutz. Von manchem hohen Felsen sangen sie das Lob Gottes, und die Heere Roms konnten ihre Dankeslieder nicht zum Schweigen bringen.“ [2]
Nur hier wurde ihnen der bibeltreue Glaube erlaubt. Hier lebten sie ungestört. Wir lesen „dass die Waldenser Tag und Nacht nicht aufhörten zu studieren, ganz gleich ob alt oder jung, Männer oder Frauen. Nach einer Ganztagsarbeit strebt der Arbeiter gleich bei Dunkelwerden zum Studium oder widmet sich der Unterweisung anderer, die weniger gebildet sind als er.“[3]
Aber schon bald kam das nächste „Angebot“: Alle, die sich „freiwillig“ zur katholischen Kirche bekehrten, konnten ihre Besitztümer in den wärmeren, tiefer gelegenen Gebieten behalten. Es bedeutete: Bessere Erträge der Felder und folglich höheren Wohlstand. Diese Vorgehensweisen erinnern uns an die Versuchungen Jesu: „Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“ Matth. 4,9[4]
Diejenigen, welche das „besondere Angebot“ verweigerten, mussten ihren Besitz innerhalb von 20 Tagen an katholische Piemonteser, meist unter dem tatsächlichen Wert, verkaufen.
Der Turiner Hof, mit Carlo-Emanuel, Marquis von Pianezza (1608-1677), wollte das „Problem“ der Waldenser mit Gewalt lösen. Als man aber feststellte, dass man die Waldenser militärisch nicht besiegen konnte, schlug man ihnen „Friedensverhandlungen“ vor. Er sagte, er müsse die Grenzen gegen Frankreich schützen und bat um Unterkunft für seine 16 000 Soldaten in den waldensischen Häusern. Gutgläubig wurden die Soldaten aufgenommen.
Als am 24. April 1655, Karsamstag, um 4 Uhr morgens die Glocken der Burg läuteten, wurden tausende von Waldenser aus dem Schlaf gerissen und auf brutalste Art und Weise niedergemetzelt. Im Massaker, das als „Piemontesische Ostern“ oder auch „Blutfrühling“ in die Geschichte einging, fanden rund 6 000 Waldenser den Tod.[5]
England, die Niederlande, die protestantischen Kantone der Schweiz und sogar Frankreich intervenierten beim Hof in Turin. Der Herzog von Turin beugte sich dem internationalen Druck und erkannte den früheren, rund 100 Jahre alten Vertrag von Cavour wieder an. – Aber der Friede war brüchig. Immer wieder kam es zu bewaffneten Scharmützeln. Insgesamt wurden die Waldenser über 30-mal von fremden Truppen überfallen.[6]
Das Edikt von Nantes
Das Edikt von Nantes aus dem Jahre 1598 gewährte den Protestanten religiöse Toleranz und volle Bürgerrechte in Frankreich. – Aber dies sollte nur eine bestimmte Zeit gültig sein: Am 18.10.1685 widerrief Ludwig XIV. das Edikt. Damit wurden französische Protestanten aller religiöser und bürgerlichen Rechte beraubt.[7] Dieser Widerruf galt auch für den französischen Teil des Pragelatals, der gut die Hälfte der Waldenserdörfer beheimatete.
Zahlreiche waldensische Familien aus diesem Tal flüchteten und ließen sich u.a. in Hessen-Kassel nieder, wo sie waldensische Dörfer gründen. Frankreich erhöhte nun den Druck auf Herzog Viktor Amadeus II. von Savoyen. Er verbot am 31.1.1686 den protestantischen Gottesdienst in den piemontesischen Tälern. Außerdem wurde angeordnet, alle protestantischen Kirchen abzureißen und alle Kinder katholisch zu taufen. Waldensische Kinder wurden entführt und zwangsgetauft. Nach langen Verhandlungen erlaubte der Herzog als einzige Alternative das Exil. Im April 1686 sollten die Waldenser innerhalb von 10 Tagen auswandern, was natürlich bedeutete, den größten Teil der Besitztümer zurückzulassen.
Auch unter Einfluss des Pfarrers Henry Arnaud entschieden sich die Waldenser für den bewaffneten Widerstand. Aber – wieder wurden sie, wie früher schon, furchtbar dezimiert: Ende April 1686 wurden sie in einem dreitägigen Krieg entscheidend geschlagen. Dabei verloren rund 1500 Waldenser ihr Leben. Weitere 8500 Menschen wurden inhaftiert. Von ihnen verstarb beinahe die Hälfte in der Haft.
Dann gerieten die Waldenser zwischen die Mühlsteine internationaler Interessen, zwischen England, den Niederlanden, Frankreich und Spanien. Niederländische Gesandte organisierten im Jahre 1689 die Rückkehr von 1000 Waldensern. Diese wurden schnell in einen Guerillakrieg mit dem Herzog von Savoyen verwickelt. Im Jahre 1690 versöhnten sich die Waldenser mit dem Herzog Viktor Amadeus II. von Savoyen. Er erlaubte die Rückkehr der vertriebenen Waldenser und Hugenotten. Diese kämpften dann, gemeinsam mit dem Herzog von Savoyen, gegen Frankreich.
Bei den internationalen Machtspielen standen die Waldenser auf verlorenem Posten. Sie wurden Manövriermasse. Im Jahre 1696 schloss der Herzog Viktor Amadeus einen Separatfrieden mit dem französischen König Ludwig XVI. Dieser Friede hatte jedoch für die Waldenser einen hohen Preis. Frankreich bestand auf der Ausweisung der ungeliebten Hugenotten und Waldenser. Alle Waldenser, die sich nicht katholisch taufen lassen wollten, wurden im September 1698 ausgewiesen. Fünf schweizerische Kantone erklärten sich bereit, die mittellosen Waldenser über den Winter 1698/99 aufzunehmen, falls sie sich bereit erklärten, weiterzuziehen.
Der Weg nach Württemberg
Aus dem Winterquartier Schweiz bemühten sich die Waldenserpfarrer Henry Arnaud und Jacques Papon, sowie der niederländische Gesandte in der Schweiz, Pieter Valkenier, in diplomatischen Missionen im Herzogtum Württemberg, Markgrafschaft Baden-Durlach und mehreren südhessischen Territorien, Aufnahme für die Waldensischen Glaubensflüchtlinge zu finden.
Das Herzogtum Württemberg brauchte dringend Menschen. Wegen des dreißigjährigen Krieges, den Folgen der Pest und des pfälzischen Erbfolgekrieges war dieses Land entvölkert. Zahlreiche Höfe standen leer und viele Ländereien waren verwildert. Als Beispiel soll das kleine Dorf Ötisheim dienen: Der Ort hatte gerade mal 50 Einwohner, während 128 Höfe leer standen. Herzog Eberhard Ludwig gewährte den unter der Leitung von Henry Arnaud ankommenden rund 3000 Waldensern Anfang des Jahres 1699 sehr großzügige Aufnahmebedingungen. Sie waren mit allen Rechten den eingesessenen Württembergern gleichgestellt.[8]
Des weiteren waren sie für 10 Jahre von allen Steuern befreit, außerdem erhielten sie Land und Holz für den Winter geschenkt. Die eigene Religion durfte ungestört ausgeübt werden. Ihre französische Sprache war in Kirche und Schule erlaubt. Ihre Pfarrer und Lehrer konnten sie selbst bestimmen. Diese großzügigen Privilegien ermöglichten es den waldensischen Glaubensflüchtlingen, ein ungestörtes kirchliches und gesellschaftliches Leben zu führen. Protestanten in England, der Schweiz und den Niederlanden unterstützten die in Deutschland lebenden Waldenser großzügig. Mit diesen Spenden konnten viele Gotteshäuser gebaut und die Pfarrer unterhalten werden.
Im Piemont waren sie Bergbauern und Hirten. In der neuen Heimat mussten sie das andere Arbeiten mit Pflug und Zugtieren erst erlernen. Sie erhielten bald auch die Erlaubnis zum Abhalten von Märkten.
Weitere Waldenser-Ansiedlungen entstanden in der Markgrafschaft Baden-Durlach, der Landgrafschaft Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt und im Raum Marburg.
Der Einfluss der Waldenser
Henry Arnaud, Pfarrer und Waldenserführer, wirkte mit einer kurzen Unterbrechung bis zu seinem Tode in den Waldensersiedlungen Dürrmenz (heute Ortsteil von Mühlacker) und Schönenberg (heute Ortsteil von Ötisheim). In der nach ihm benannten Waldenserkirche, befindet sich seine Grabplatte.
Anfangs nannte man den Ort Schönenberg „Des Muriers“, deutsch „In den Maulbeerbäumen.“ In Schönenbergs Umgebung finden sich heute noch Maulbeerbäume. Ein Maulbeergässchen im Ort erinnert ebenfalls an die Waldenser.
Anton Seignoret, ein aus Torre Pellice stammender Waldenser, brachte einen Rucksack mit 200 erdfarbenen Knollen, dergleichen bis dahin niemand in Deutschland kannte, genannt ‚Trifulles‘ oder ‚Potates‘ aus seiner Heimat mit.[9] Er übergab sie im Jahre 1700 Henry Arnaud. Im Pfarrgarten, neben der Schönenberger Kirche pflanzte er drei Sorten dieser Knollengewächse. Im Herbst desselben Jahrs erntete er davon 2000 Stück. Diese verteilte er an die waldensischen Gemeinden in Baden und Hessen.
Damit die Waldenser essen konnten, was sie aus dem Piemont kannten: Kartoffeln.
An der Henri-Arnaud-Kirche in Schönenberg befindet sich an deren Hofmauer ein Schild mit der Inschrift: „Arnaud pflanzte hier einst in Schwaben die ersten Kartoffeln. Welchen Segen schuf so friedlich der treffliche Held.“
Helmut Welker
[1] https://www.youtube.com/watch?v=_SHrXsJpquw
[2] White, Ellen, Der Große Kampf, Ausg. 1973, S 66
[3] Uhlmann, Peter, Pierre Waldes und die Waldenserbewegung, S. 4 – www.peteruhlmann.ch
[4] LU 2017
[5] /www.migrazioni.altervista.org/deu/2konfessionen/1_waldenser/waldenser_5.html – 21.09.2021
[6] Rede zur Einweihung des Arnauddenkmals am 11.09.1949 Landesbischof Theophil Wurm
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Edikt_von_Nantes
[8] Rede zur Einweihung des Arnauddenkmals am 11.09.1949 Landesbischof Theophil Wurm
[9] www.waldenserweg.de – Palmbach – 16.09.2021