Ist unsere Welt zu retten?
20. Februar 2020Sinnsuche im Computerzeitalter
20. Februar 2020Fachtagung im Zinzendorfhaus Neudietendorf (bei Erfurt) vom 2. -3.März 2017
Die Internationale Missionsgesellschaft der Siebenten-Tags-Adventisten, Reformationsbewegung wurde von Dr. Baumann eingeladen und durch Jens und Ines Müller vertreten.
Das Zinzendorfhaus in Herrnhuter Tradition bot einen würdigen, geistlich geprägten Rahmen. Die thematisch anspruchsvolle Veranstaltung hielt eine Fülle interessanter Beiträge bereit, von denen hier hauptsächlich jene zusammengefasst werden, die die Reformgemeinde betreffen.
Prof. Dr. Haspel begrüßte die Teilnehmer und betonte, was die Absicht dieses Treffens sei: Austausch, Vielfalt, Aufarbeitung und Geschichte im Detail. Verschiedene Referenten sollten zu Wort kommen. Ihnen wurden als Vorbereitung folgende Fragen gestellt:
1. Wie sah die Haltung der Freikirche gegenüber dem Staat aus?
2. Erfuhr die Theologie und Dogmatik eine Veränderung? Welche?
3. Gab es innergemeinschaftliche Konflikte? Welche?
4. Welche gesellschaftliche und soziale Dimension nahm die Freikirche ein?
5. Wie wurde nach 1945 mit der Geschichte umgegangen?
Dr. Johannes Hartlapp, Dekan der Theologischen Hochschule Friedensau, sprach zum Thema: Der Weg der Siebenten-Tags-Adventisten (STA) im „Dritten Reich“.
Er könne viel erzählen, was die Adventisten im Krieg falsch machten, begann J. Hartlapp. Zwei Tatsachen machte er als Ursache aus, warum die Adventisten in den dreißiger Jahren in eine tiefe Krise gestürzt seien. Zum Einen sei dies der Tod von E.G. White 1915 gewesen. Die Gemeindeglieder hätten erwartet, dass noch zu ihren Lebzeiten Jesu Wiederkunft stattgefunden hätte.
Die Frage des Umgangs mit dem Militärdienst habe die Adventisten im Ersten Weltkrieg geteilt, wie dies auch in anderen Kirchen vorgekommen sei. Abgespaltete Gruppierungen hätten sich untereinander zu Lasten der Muttergemeinde weiter gespalten, so Hartlapp. Von Seiten der abgespalteten Gruppen wäre der Vorwurf des Abfalls gekommen, während die STA-Kirche um die Darstellung ihrer Rechtgläubigkeit bemüht gewesen sei.
Ein weiterer Todesfall einer herausragenden Persönlichkeit des Adventismus habe diese essentielle Krise verstärkt: Ludwig R. Conradi. Während der Weimarer Republik hätten die Adventisten gelernt, ihren Blick zu schärfen. Sie stünden weiterhin der Kirche Roms kritisch gegenüber, hätten aber die Nähe zu anderen protestantischen Kirchen gesucht. Der Redner sagte: „Mit Hitler hatte niemand gerechnet.“ und meinte damit die Adventisten, in deren prophetischem Verständnis Hitler nicht vorgekommen sei. Eine kritische Auseinandersetzung mit Adolf Hitler sei nicht erfolgt.
Dr. Johannes Hartlapp umriss die Gemeindesituation. Adventisten warteten auf die Wiederkunft Jesu und feierten den Sabbat, womit sie in der Nähe der Juden gestanden und nicht in das Schema des neuen Staates gepasst hätten. Die Zeugen Jehovas waren schon verboten und Adventisten seien vom NS-Staat oft wie diese wahrgenommen worden. Die Angst der Adventisten hätte sich in einer Frage an die mitteleuropäische Division geäußert: „Werden wir auch verboten?“
Das Verbot der Adventisten am 26.11.33 in Preußen und Hessen „zum Schutz von Volk und Vaterland“, einschließlich von Beschlagnahmungen, habe zu einer völligen Verunsicherung innerhalb der Adventgemeinde geführt. Bereits am 6.12.33 wurde die Verordnung zurückgenommen. Verbot und Aufhebung seien jedoch ohne Begründung erfolgt.
Der Historiker Hartlapp fragte die Zuhörer: „ Wie hätten sie reagiert?“ Die Anwesenden sahen in „Konformität“ ein wahrscheinliches Handeln.
Dr. Johannes Hartlapp stellte die „Denkschrift“ der STA vor, die die Situation der Adventisten bestimmt habe und hinter die man später nicht mehr zurückkonnte. In dieser Schrift stelle sich die Adventgemeinde hinter den NS-Staat, verleugnete dafür teilweise ihre Grundsätze, um einem neuerlichen Verbot zu entgehen. Laut Hartlapp sollte die Denkschrift ausdrücken: „Wir sind eigentlich Menschen, die das, was der neue Staat will, schon längst getan hat.“ Die STA-Leitung betonte die Anerkennung der Obrigkeit als von Gott gesetzt und die 100% Ja-Stimmen aus Friedensau. Die Denkschrift schließt mit dem Wunsch, der NS-Staat möge die Adventgemeinschaft würdigen.
Nach der Herausgabe der Denkschrift ging es an die Umsetzung. Hartlapp fasste Weg und Ziel der STA-Gemeinde zusammen: „Wir tun alles, um einem nächsten Verbot vorzubeugen.“ Personen, die anders handelten, seien entsprechend ein Problem für die Gemeinschaft gewesen.
Ein kurzzeitiges Verbot habe es auch anderweitig gegeben, als Strategie, Zustimmung zum NS-Staat aus Angst zu erreichen.
„Zwischen Anpassung und Verfolgung, Baptisten und Brüdergemeinden in der NS-Zeit“ war der Vortrag von Dr. Andreas Liese überschrieben. Der Redner führte aus, auch wenn keine theologischen Änderungen des ursprünglichen Glaubensgebäudes stattgefunden hätten, so sei in der Praxis doch ein Abweichen davon und eine Konformität zum Nationalsozialismus oft der Fall gewesen. Man orientierte sich an einen christlichen Obrigkeitsstaat.
Die anschießende Möglichkeit, Fragen an die Referenten zu stellen, wurde rege genutzt. Ein Teilnehmer aus der neuapostolischen Kirche stellte die Frage: „Waren Siebenten-Tags-Adventisten NS-Glieder?“. J. Hartlapp bestätigte: „Ja, das war üblich.“ Leitende Adventisten wären nur in geringer Zahl Nationalsozialisten gewesen, die nach 1948 ihrer Ämter enthoben worden seien.
Ein Teilnehmer von der Universität Halle-Wittenberg interessierte sich: „Welche Stellung hat die Denkschrift innerhalb der Adventisten?“ Weiter wollte er wissen, was es mit den Reformadventisten auf sich habe. In seiner Antwort bezeichnete Dr. Hartlapp die Denkschrift als „Gradmesser in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche“. Andererseits sei dieses Dokument die Versicherung für die Glaubensgeschwister gewesen, dass man sich einige Richtlinien erhalten habe. Im Blick auf die Reformadventisten antwortete Hartlapp: „Bis zum Verbot der Reformbewegung 1936 war die Trennungslinie sehr stark.“ Nach dem Verbot seien manche Reformadventisten in der Adventgemeinde „untergetaucht“. Das Bild, wer zu welcher Gemeinschaft gehörte, sei verschwommen gewesen und wäre erst nach 1945 wieder klar geworden. Als positiven Effekt der NS-Zeit nannte der Historiker Hartlapp: „Die Zeit trug dazu bei, dass sich die Kirchen besser verstanden und die kontrovers theologische Auseinandersetzung auf anderer Ebene stattfand.“
Ein Berliner Teilnehmer warf die Fragen auf, ob sich die Theologie der Adventisten während der NS-Zeit geändert habe und ob man über Hitler als „Antichristen“ diskutiert habe. In seiner Antwort erklärte Dr. Hartlapp, dass über die typischen adventistischen Themen offiziell nicht mehr gesprochen worden sei und es keine Publikationen darüber gäbe. Derartige Gespräche hätten nur im privaten Kreis stattgefunden.
Eine weitere Frage widmete sich der Überlegung, ob die „Abspaltungen der Adventisten stärker ins Visier des Staates geraten seien und es Abgrenzungen gegeben habe im Sinne von: Wir stehen anders als die!?“ Hartlapp bestätigte: „Beides gab es.“ Auch Zeitungsartikel sollten ausdrücken: „Das betrifft uns nicht.“ Die Adventgemeinde sei ein Schutzraum gewesen für solche, die untertauchen wollten.
Eine „Gruppe Wagner“ sei von einem Leipziger Gemeindeältesten der Adventgemeinde angezeigt worden, die keine Woche später verboten worden sei. Ein Zusammenhang läge nahe. Die Leitung der STA-Kirche habe sich bewusst abgegrenzt. Die gemeinschaftsübergreifenden familiären Beziehungen wären gefragt gewesen, um untertauchen zu können.
Ines Müller nutzte die Gelegenheit, ihre Gemeinschaft kurz vorzustellen, sich für die Tagung im Allgemeinen und Dr. Hartlapp im Besonderen zu danken, der sein Referat mutig mit dem Eingeständnis von Fehlern begann. „Wir betrachten die Geschehnisse in der Rückschau und keiner von uns weiß, wie er konkret gehandelt hätte.“ Mit der Bitte nicht falsch verstanden zu werden, sagte Ines Müller: „ Aber ich bin stolz darauf, solche Vorfahren im Glauben zu haben, die unter allen Umständen gehorsam blieben.“ Sie verlas die Begründung des Verbots der Reformadventisten, die heute eine Auszeichnung sei. Mit dem Hinweis, sich am Büchertisch reichlich zu bedienen, warb I. Müller darum, das Andenken dieser treuen Christen, von denen viele zu Märtyrern wurden, zu würdigen.
Die Pausen und Mahlzeiten wurden ausgiebig genutzt, einander kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen und Schriften auszutauschen.
Frau Prof. Dr. Andrea Strübind stellte in ihrem Thema „Freikirchen im Nationalsozialismus“ fest, dass dieser sehr unterschiedlich mit den Freikirchen umgegangen sei. Während es einige Vorzeigefreikirchen gegeben habe, so wäre gegen Sekten gezielt vorgegangen und diese verboten worden. Die meisten Freikirchen hätten durch demonstrative Solidarität mit dem NS-Staat ihre Sicherheit zu erlangen gesucht. Dafür seien sie bereit gewesen, Grundprinzipien zu opfern.
Die beiden großen Kirchen wären vom NS-Staat gewürdigt worden und umgekehrt wäre dasselbe gefordert worden. „Wer dem Staat loyal gegenüberstand“, so Strübind, „hatte nichts zu befürchten.“ Die Landeskirchen hätten die Adventistengemeinde zum Verbot empfohlen.
Abschließend fasste Frau Prof. Strübind zusammen: „Die Freikirchen wurden zu einem eher stabilisierenden Faktor der NS-Dikdatur.“ Sie zitierte aus R. Fleischer, Der Streit über den Weg der Baptisten im Nationalsozialismus:
„Wohin es führen wird, wenn Freikirchliche fortfahren, ihren Weg abseits von denen zu gehen, die um des Evangeliums willen leiden und verfolgt werden, lehrt die Geschichte der Gemeinde Jesu Christi. Noch immer war die Verheißung, die den treuen Nachfolgern Christi gegeben ist, bei denen, die das Kreuz Christi vorantrugen, niemals bei der Kirche, die sich ihres guten Verhältnisses mit der Welt rühmte.…“ (S. 34)
Am zweiten Tag eröffnete Johannes Hartlapp die Themenreihe „Evangeliumsverkündigung um jeden Preis – deutsche Freikirchen in der Zeit des Nationalsozialismus“. Er zitierte Karl Barth: „Nach dem Krieg sah es in vielen Publikationen so aus, als hätte es die Zeit des NS nie gegeben.“ Man habe Gott gedankt, überlebt zu haben. Der Prozess der Aufarbeitung bzw. Schuldbekenntnisse haben direkt nach dem Krieg nicht stattgefunden. Das habe ein Tabuthema dargestellt.
Freikirchen, darunter sind laut Dr. Hartlapp hier alle außer den Großkirchen gemeint, z.B. die Quäker und Zeugen Jehovas. Manche wären leise gewesen und seien kaum wahrgenommen worden. „Der Riss ging durch die Freikirchen hindurch. Manche leisteten sich eigenes Denken innerhalb ihrer Kirchen, wurden dafür meist von ihrer eigenen Freikirche fallengelassen.“ Die Komplexität der Situation unterstreichend, warnte der Historiker Hartlapp: „Wer darüber spricht, sollte sich vor pauschalen Antworten hüten.“ Die Zahl derer, die Märtyrer aufzuweisen hätten, bezeichnete er, außer bei den Zeugen Jehovas und Reformadventisten, als gering. Jahrzehnte nach dem Krieg hätten diese erst begonnen, ihre Märtyrer aufzulisten und ihre eigene Geschichte zu erforschen. Dabei stelle die teils geringe Anzahl an Dokumenten eine Schwierigkeit dar.
Johannes Hartlapp versuchte, seinen Zuhörern verständlich zu machen, warum die Adventisten dem NS-System folgten. Viele Freikirchen hätten die Sehnsucht nach der verlorengegangenen Sicherheit empfunden, die sie zur Kaiserzeit gehabt hätten. Nur die Wenigsten hätten sich mit den alten und neuen Ursachen der Veränderungen auseinandergesetzt. „Mit dem Staat wollten sie so wenig wie möglich zu tun haben.“ erklärte Hartlapp und verwies auf eine „typisch freikirchliche Verhaltensweise: Man beschäftigte sich nicht mit Hitler, seiner Politik, seinen Zielen. Man meinte das nicht zu müssen, weil in der Bibel alle Antworten bereitlägen.“ Zur Machtübernahme Hitlers hätten viele freudig gerufen: „Gott sandte Hitler“. Hitler sei der verheißene Retter gewesen. Von „Allmacht und Vorsehung“ wäre gesprochen worden.
Nationalistische Tendenzen und Deutschtum seien innerhalb der Freikirchen geweckt worden. Die Hoffnung auf ein neues, ein christliches Deutschland, habe den sozialen Bereich motiviert. „Wir sind die SA Jesu Christi.“ Der Beweis des „positiven Christentums“ sollte erbracht werden, einem nationalsozialistischen Programm.
Wie sah es um die Missionsarbeit der Freikirchen im Nationalsozialismus aus? In der öffentlichen Verkündigung galt: „Nur keinen Anstoß erregen!“ Verkündigung sei nur im privaten Bereich erfolgt.
Der Staat wollte die totale Kontrolle über Denken, Taten und Geld der Freikirchen, so Hartlapp, der sagte: „Es gibt eine Reihe von Gestapoberichten mit Loyalitätsbekundungen der Freikirchen.“ Als Beispiel nannte er die Schreiben zum Geburtstag Hitlers. „Die Freikirchen waren der Verblendung des Führerkultes aufgesessen.“ Diese hätten die Alternative zu den Volkskirchen und „Bessere Christen“ sein wollen. Aber in der Stunde der Versuchung hätten sie nicht anders gehandelt als die Geschmähten und ihre Theologie ad absurdum geführt. „Ihr Adventisten kämpft mit gebrochenen Waffen.“ sei eine Aussage, der sich alle Freikirchen unterstellen müssten. Nicht die Freudigkeit in der Verkündigung, sondern die Sorge um den Erhalt der eigenen Existenz und des eigenen Besitzes hätten im Vordergrund gestanden.
„Zum Zeugnis des eigenen Lebens bedeutet auch das Martyrium.“ stellte Hartlapp fest und erklärte: „Wenn vom eigenen Versagen die Rede ist, fällt sofort der Satz: Die anderen Deutschen haben das ja auch so gemacht.“ Die deutschen Freikirchen hätten eine Anfälligkeit für Autoritäten gehabt. Die Ursache läge im Kaiserreich. Sie hätten nun das gesucht, was sie im Kaiserreich hatten. „Das Janusgesicht dieses Volksverführers erkannten sie nicht.“
Märtyrer, das seien zuerst die Umgekommenen. Ihr Zeugnis sei noch längst nicht aufgearbeitet. Sie stellten durch ihr Martyrium ihre eigene Kirche in Frage. In jeder Freikirche habe es Frauen und Männer gegeben, die mit der Haltung ihrer Freikirche nicht einverstanden waren. Diese Enttäuschten seien bisher kaum gewürdigt worden.
In der anschließenden Diskussion fragte Frau Dr. Strübind: „Hätten die Freikirchen stärker ins Martyrium gehen müssen?“ Johannes Hartlapp fasste kurz zusammen: „Für mich ist der entscheidende Punkt: Wir haben versagt – im Vergleich zu dem Anspruch, den sie hatten.“
Ines Müller betonte die Wichtigkeit, zu untersuchen, warum sich die Freikirchen dem NS-System anpassten. Gleichzeitig lenkte sie den Blick in eine andere Richtung: „Welches Interesse besteht daran, sich mit denen zu beschäftigen, die ihrem Glauben treu blieben und zu forschen, warum sie treu blieben?“
Dr. Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, stellte in seinem Referat „Heilsgewissheit, Glaubensgehorsam und das drohende Gottesgericht, die Verweigerung und den Widerstand der Zeugen Jehovas als Reaktion auf den nationalsozialistischen Gewissenszwang, Verbote und unerbittliche Verfolgung“ das Schicksal der Zeugen Jehovas dar. Seine Ausführungen sowie die präsentierten Fotos und Dokumente zeigten eine große Parallelität zur Geschichte der Reformadventisten.
„… Da warst auch du einer von ihnen“, Freikirchen und Juden „im Dritten Reich“ war das Thema von Dr. Daniel Heinz, Leiter des Historischen Archivs der Theologischen Hochschule Friedensau. Sein Einstieg: „Die deutschen Freikirchen sind mitschuldig geworden am Holocaust. Die Freikirchen widerstanden dem NS-Staat und seiner Judenpolitik mindestens genauso wenig wie die Großkirchen.“ Während diese ihre Schuld schnell nach dem Krieg bekannten, lägen ähnliche Erklärungen aus dem freikirchlichen Raum spät oder gar nicht vor.
Die Gewährung der Körperschaftsrechte für Freikirchen 1930 habe eine neue Situation geschaffen, die sich allerdings als große Versuchung entpuppt habe. Distanz und Widerstand geschahen meist nur auf der Ebene der persönlichen Gewissensentscheidung, so Dr. Daniel Heinz, der weiter ausführte, dass falsche Begeisterung, ängstliche Anpassung, Repressionsfurcht und resignative Passivität verhindert habe, sich mit den Juden zu solidarisieren. Ausnahme: die Quäker. Antisemitische Publikationen gäbe es aus den Freikirchen nicht. Dass Jesus und Paulus Juden waren, sei von der Sichtweise der Gottesschuld und des Jesusmordes ausgeblendet worden. Es habe einige Ausnahmen gegeben: „Gehorsame, angepasste Kirche – ungehorsame, unangepasste Einzelne.“
Heinz bot einen Denkansatz, um die gegensätzliche Reaktion der Quäker zu erklären: „Die Quäker besaßen nichts und hatten demnach nicht zu verlieren.“ Die STA hingegen habe sich um ihren Besitz gesorgt.
Der Antisemitismus wurde damals heilsgeschichtlich legitimiert, so Heinz. Das deutsche Volk wäre Gottes Werkzeug. Wer Juden helfe, sie versteckte usw. hätte sich demnach dem göttlichen Willen entgegengestellt. Mutige Taten seien nur vereinzelt zu verzeichnen.
An adventistischen Versammlungsräumen hing in Tschechien seit 1941/42 ein Warnschild in zwei Sprachen: „Für Juden Eintritt verboten!“ Daniel Heinz konnte einige Beispiele erzählen, wie einzelne Adventisten Juden halfen. Trotz dieser Beispiele bleibe die traurige Bilanz der nicht erfolgten Hilfe. „Wir empfinden Schmerz, Reue, Scham für das Versäumte. Achtung und Bewunderung für das im Einzelfall Vollbrachte. Die Dramatik der Erinnerungsarbeit sollte vor allem dazu beitragen, dass sich diese Tragödie nie mehr wiederholt. Beides kann dazu beitragen, das Gedenken an die Gedemütigten und Verfolgten zu sichern und einen kleinen Teil ihrer von Gott geschenkten Würde zurückzugeben.“
Warum gab es das Eingeständnis von Schuld und Versagen der Freikirchen spät oder gar nicht, fragte sich D. Heinz? „Je höher das eigene ekklesiologische Selbstverständnis gewertet wird, desto schwerer wiegt ein Eingeständnis von Schuld.“ Bei den Adventisten erfolgte, so der Redner, ein Schuldbekenntnis erst 2005. Nach dem Krieg hätten andere Themen ein Schuldbekenntnis verdrängt.
Die Freikirchen seien während der NS-Zeit an den Juden schuldig geworden, bekannte Dr. Daniel Heinz „Wir haben gesündigt, wir haben Unrecht getan.“ und schloss mit den Worten: „Haben wir heute aus der Geschichte gelernt? Das hoffe ich. Die Anpassung an den Zeitgeist, damals durch Zwang, heute als Trägheit, Pluralismus und Unkenntnis stellt weiterhin eine große Herausforderung für die christlichen Kirchen dar. Das Anpassungsvermögen der Gemeinden an die jeweilige Zeit war immer großer als ihre Bereitschaft zur Buße.“
Prof. Dr. Klaus Fitschen von der Universität Leipzig kommentierte die während der Tagung gehörten Referate und Diskussionseiträge.
Während einer abschließenden Plenumsdiskussion forderte Prof. Dr. Haspel seine Referenten heraus, den Blick nach vorn zu richten. Er würdigte die kritische Betrachtung seiner eigenen Freikirche durch Dr. Johannes Hartlapp und fragte ihn, welche Wirkungen dies auf die Zukunft hätte. Johannes Hartlapp hielt es für notwendig, so eine Tagung zu wiederholen. Dabei wünschte er sich die Teilnahme von mehr jungen Leuten. Forschungsaufgaben könnten an Studierende gesandt werden, denn es gäbe noch viel zu forschen. An die direkte Wirkung auf eine Kirche im Sinne eines Lernprozesses glaube er nicht. Er riet zur Nüchternheit statt zur überspitzten Erwartung. Frau Dr. Strübind widersprach und zeigte an einem Beispiel, wie die Forschungsergebnisse positive Früchte tragen können, bis hin zu einer Gedenkkultur.
Prof. Dr. Haspel trug Themenbereiche zusammen, die künftig aufgegriffen werden sollten. Dazu gehörte auch die Frage: „Wie gehen wir mit den Wenigen um, die doch widerstanden?“
Die Entwicklung einer Gedenkkultur, Gedenkbücher, Ausstellungen, Internetbeiträge – all dies sehe Prof. Dr. Fitschen. Für ihn gehe es auch um die Vermittlung an die Gegenwart. Ebenso sei die Sicht auf die DDR-Zeit wichtig.
Aus den Reihen der Mennoniten wurde sich gewünscht, die Freikirchen mehr zu differenzieren. Die Unterschiede müssten herausgearbeitet werden. Die Alltagsperspektive der einzelnen Freikirchen gelte es aufzuarbeiten.
Vertreter mehrerer Freikirchen drückten ihren Dank an die Veranstalter und Referenten aus und schlugen weitere Themen für nächste Tagungen sowie weitere Forschungen vor. Ines Müller schloss sich den Dankesworten an, drückte den Wunsch nach mehr Zusammenarbeit mit den Forschungsstellen aus und bat darum, die Reformadventisten in weiteren Betrachtungen nicht zu vergessen. Mehrfach wurde während der Tagung betont, wie wichtig es sei, Einzelschicksale zu recherchieren. Dies habe die Reformgemeinde getan. Deshalb warb I. Müller auch dafür, sich am Büchertisch zu bedienen.
Während der beiden Tage bildete die Weitergabe von Schriften am Büchertisch eine Möglichkeit, die Geschichte der Reformadventisten, vor allem anhand der Märtyrerschicksale, kennenzulernen. Einzelgespräche von J. und I. Müller mit den Teilnehmern während der Pausen und am Abend drückten ein großes Interesse an der Reformgemeinde aus.
Insgesamt war die Tagung eine Möglichkeit, die Reformadventisten bekanntzumachen und ins Blickfeld der anderen Gemeinschaften, vor allem der Historiker und Forschenden, zu rücken.