Pietismus
20. Februar 2020Werde ein Mann nach Gottes Willen!
20. Februar 2020Auf diesem Reichstag bemühten sich die anwesenden Protestanten in schwierigen und langen Verhandlungen um die Akzeptanz des protestantischen Bekenntnisses, vor allem durch die katholischen Anwesenden. E.G. White schrieb dazu:
„Es kam die Zeit, da sie vor dem Kaiser zu erscheinen hatten. Karl V., auf seinem Thron sitzend, umgeben von den Kurfürsten und Fürsten des Reiches, schenkte den protestantischen Reformatoren Gehör. Das Bekenntnis ihres Glaubens wurde verlesen. In jener erlauchten Versammlung wurden die Wahrheiten des Evangeliums klar dargelegt und die Irrtümer der päpstlichen Kirche bloßgestellt. Mit Recht ist jener Tag als der größte der Reformation, als einer der schönsten in der Geschichte des Christentums und der Menschheit bezeichnet worden. (D’Aubigné, ebd., 14.Buch, 7.Abschnitt, S. 156 f.)“ (Der gr. Konflikt, S. 206.207.)
Die katholische Reaktion auf das Augsburger Bekenntnis war die „Confutatio Augustana“ („Die Bestreitung des Augsburger Bekenntnisses“). Die Antwort von protestantischer Seite hierauf war die „Apologia Confessionis Augustanae“ („Die Verteidigung des Augsburger Bekenntnisses“) von Philipp Melanchthon, woraus wir den Artikel VII näher betrachten wollen.
Dieser Text ist heute vielen Protestanten sicher nicht mehr geläufig und ich war sehr überrascht, als ich las, was Melanchthon schrieb:
„Aber es wollten gern die Widersacher eine neue römische Definition der Kirche haben, dass wir sollten sage, die Kirche ist die oberste Monarchia, die größte, mächtigste Hoheit in der ganzen Welt, darin der römische Papst als das Haupt der Kirche aller hohen und niedern Sachen und Händel, weltlicher, geistlicher, wie er will und denken darf, durchaus ganz mächtig ist, von dessen Gewalt (er gebrauche oder missbrauche es wie er wolle) niemand disputieren, reden oder mucken darf; item, in welcher Kirche der Papst Macht hat, Artikel des Glaubens zu machen, allerlei Gottesdienste aufzurichten, die Heilige Schrift nach allem seinem Gefallen abzutun, zu verkehren und zu deuten wider alle göttlichen Gesetze, wider sein eigen Dekretal, wider alle Kaiserrechte, wie oft, wie viel und wann es ihn gelüstet, Freiheit und Dispensation um Geld zu verkaufen, von welchem der römische Kaiser, alle Könige, Fürsten und Potentaten schuldig seien, ihre königliche Krone, ihre Herrlichkeit und Titel zu empfangen, als vom Statthalter Christi. Derhalben der Papst ein irdischer Gott, eine oberste Majestät und allein der großmächtigste Herr in aller Welt ist, über alle Königreiche, über alle Lande und Leute, über alle Güter, geistliche und weltliche, und also in seiner Hand hat alles, beide weltliches und geistliches Schwert. Diese Definition, welche sich auf die rechte Kirche gar nicht, aber auf des römischen Papsts Wesen wohl reimt, findet man nicht allein in der Kanonisten Büchern, sondern Daniel der Prophet malt den Antichristen auf diese Weise.“ (Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, herausgegeben im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, Göttingen, 2010)
Was veranlasste die Reformatoren, solche deutlichen Worte gegen das Papsttum zu finden? Welche sozialen, kulturellen und religiösen Hintergründe spielten eine Rolle?
Das Papsttum des Spätmittelalters
Zeitlich lässt sich das Spätmittelalter am Übergang vom Mittelalter zur Renaissance, also etwa 1450-1550, fassen. Die Reformationszeit befindet sich streng genommen nicht mehr im Spätmittelalter, denn sie beendet die Einheit der Kirche, welches als ein wichtiges Merkmal des Mittelalters angesehen wird.
Die europäische Welt befand sich in einer Zeit des Fortschritts und der Umbrüche, war aber auch geprägt von Krankheit, Leid, Pest und Tod. Auch die Kirche konnte der Gesellschaft keinen Halt geben, da sie sich selbst in einer tiefen Krise befand.
In der Kirchengeschichte des Spätmittelalters finden sich Anzeichen des Niedergangs bzw. des Endes einer Epoche. Durch die Expansion des Osmanischen Reiches war die Christenheit im Osten bedroht, im Westen veränderte das „abendländische Schisma“ von 1378 die katholische Kirche, woraus Gegenpäpste resultieren, die sich um die kuriale Macht stritten. Die innerkirchlichen Streitigkeiten führten zum Autoritätsverlust des Papsttums, was Reformbewegungen beschleunigte.
Am Anfang des 16. Jahrhunderts finden wir den Widerspruch zwischen Papsttum als Kirche, und dem Papst als weltlichen Machthaber. Durch die Zunahme des weltlichen Machtraumes des Papstes zeigte sich eine ausgeprägte Machtpolitik im kirchlichen Bereich sowie Tendenzen der persönlichen Bereicherung und auch die generelle Verweltlichung der geistlichen Würdenträger. Das Papsttum jener Zeit war von einem deutlichen Hang zum Luxus und dem Leben über die eigenen finanziellen Verhältnisse geprägt.
Ebenso beobachten wir eine stärkere Spaltung in höhere und niedere Geistlichkeit, die sich durch eine Verarmung und einen wachsenden Bildungsverlust bei der niederen Geistlichkeit äußerte.
Wir sehen zeitgleich eine starke und schnelle Verbreitung des Aberglaubens innerhalb des Christentums, der durch die mangelhafte theologische und allgemeine Bildung der Geistlichkeit nur noch verstärkt wurde.
Unwissenheit ist zu allen Zeiten der Nährboden für Irrtümer und die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten. Die Kirchengeschichte liefert ein interessantes Beispiel. Während es geboten und logisch erscheinen möchte, dass Christen das Bibellesen ans Herz gelegt wird, ersann das Papsttum einen anderen Weg:
„Im Jahre 1229 erließ dann das Konzil zu Toulouse das Gebot, dass den Laien Bücher des Alten oder Neuen Testaments zu besitzen nicht gestattet sei; außer wenn einer den Psalter oder das Brevier oder die Horen der heiligen Maria zur Andachtsübung haben wolle, aber auch diese nicht in der Volkssprache übersetzt … Der Besitz von Büchern Alten und Neuen Testaments in romanischer Sprache wurde den Laien auch von dem Konzil zu Tarragona 1234 untersagt. Wer solche habe, solle sie binnen acht Tagen nach Veröffentlichung dieser Verordnung dem Bischofe des Orts ausliefern, damit sie verbrannt würden; wer das nicht tue, er sei Kleriker oder Laie, solle als der Ketzerei verdächtig erachtet werden … 1486 erklärte der Erzbischof von Mainz, dass die deutsche Sprache nicht geeignet sei für den Ausdruck der tiefen Religionswahrheiten …“ (E.G. White, Der gr. Konflikt, S. 707)
Problematisch ist zu der Zeit vor allem die Religionsausübung, die sich weit von der Bibel entfernt hatte und eher durch Sensationslust und geschäftliche Ausbeutung geprägt war. Zu nennen seien hier die Anhäufung von Reliquien und damit verbundene Wallfahrten, das Ablasswesen und der Missbrauch damit, sowie der örtlich auswachsende Hexenwahn.
In dieser Situation innerer und äußerer Nöte konnte die römisch-katholische Kirche durch den Ablasshandel, der dem einfachen Volk als Möglichkeit der käuflichen Gnade Gottes dargestellt wurde, eine sichere Geldquelle erschließen. Aufgrund seines ausschweifenden Lebensstils, war Papst Leo X., der von 1513 bis 1521 das Pontifikat innehatte, ständig verschuldet und baute, um sich zu finanzieren, den Ablasshandel aus. Für den deutschen Raum verpachtete Leo X. den Ablasshandel an den verschuldeten Erzbischof Albrecht von Brandenburg, der die Hälfte der Einnahme zur Tilgung seiner Schulden verwenden durfte. Die andere Hälfte der Einnahmen floss nach Rom und wurde unter anderem zum Neubau der Sankt Peterskirche verwendet.
Albrecht von Brandenburg beauftragte mit der Organisation und Durchführung des Ablasshandels Johann Tetzel, einen Dominikanermönch, der schon seit 1504 in den Diensten des Deutschen Ritterordens Ablässe verkaufte. Dieses Gebaren der Kurie wurde auch innerkirchlich stark kritisiert, z.B. durch Erasmus von Rotterdam. Er forderte unter der Losung „Die Reformation der Kirche an Haupt und Glieder“ eine Kirchenreform, ebenso Ulrich Zwingli, Johannes Calvin und Martin Luther.
Wer heute den Petersdom betrachtet, kann nur erahnen, welche gewaltigen Summen den armen, gutgläubigen und heilsdurstigen Menschen abgeschwindelt wurden. Luther und andere Reformatoren konnten in ihrer Gottesfürchtigkeit und ihrem Bibelwissen dieses Unrecht nicht tolerieren.
Einen nicht unwesentlichen Anteil am Erfolg der Reformation kann folglich dem Machtmissbrauch der Geistlichen zugeschrieben werden. Viele Bürger wollten die radikale Verbreitung und Ausübung des Glaubens, der sich im Spätmittelalter mit der Hexenverfolgung in einer der brutalsten Formen zeigte, und die eigene Bereicherung des Klerus auf Kosten der Bürger nicht mehr hinnehmen.
Gegen die Reformation stellte sich die katholische Gegenreformation. Dies führte zu einer Teilung Europas in einen protestantischen Norden und den katholischen Süden, was die Grundlagen für die Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts legte. Letztendlich manifestierten diese Kriege die Spaltung der Kirche in die römisch-katholische Kirche und die protestantische Kirche.
Essenziell für die schnelle Verbreitung der reformatorischen Lehren war der in dieser Zeit entwickelte Buchdruck mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg, der eine schnelle und preiswerte Vervielfältigung von Werken ermöglichte und dadurch ihren Wirkungskreis deutlich vergrößerte.
Die Reformatoren als kompromisslose Bekenner der Wahrheit
Die Reformationszeit hat Auswirkungen bis in unsere Tage. Die Schilderung des Papsttums in dem von mir betrachteten Textabschnitt der „Apologia Confessionis Augustanae“ kommt mit deutlichen, ja derben Worten daher. Was mag einen gebildeten Mann wie Melanchthon bewogen haben, so radikal zu urteilen? Wie konnte sich Luther hinter solch eine Schrift stellen? Hätten nicht die Höflichkeit und Demut gebieten müssen, zart, feinfühlig und eher andeutend dem Papsttum begegnen zu müssen?
Wer viele Gründe zur Veränderung erkennt, kann nicht ängstlich flüstern. Die Umstände erforderten deutliche Worte – und Männer, die sich mit Mut und Gottvertrauen gegen eine scheinbare Übermacht stellten.
Beschrieben werden uns zwei Problemfelder des Papsttums: das Abweichen von der Bibel bis hin zur bewussten Änderung der biblischen Aussagen und das Versinken in einen unchristlichen Lebensstil der Geistlichkeit mit Gier, Machtstreben, Besitzanhäufung und Heuchelei. Was Heinrich Heine erst 1844 im Blick auf die Kirche beschrieb „sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser“, mussten die Menschen im Spätmittelalter schon erleben.
Nun gibt es allenthalben Unterschiede im Bibelverständnis und allerlei Sichtweisen und Varianten des praktisch ausgelebten Christseins bis heute. Auch heute stellen Christen fest, dass ihre kirchlichen Würdenträger Menschen mit Fehlern sind, ja z.T. mit schweren Sünden beladen. Was genau mag die Reformatoren derart aufgebracht haben, dass sie letztlich so mutig und kompromisslos mündlich wie schriftlich dem Papsttum entgegentraten?
Luther, Melanchthon und deren Mitstreiter erkannten ein System von bewussten Fehlern in ihrer Kirche. Da sie in der Bibel zu Hause waren, erkannten sie die Irrwege des Papsttums, die letztlich keine Heilswege waren. Die Missstände unter der Geistlichkeit waren oftmals auch für ungebildete Leute erkennbar. Aber da ihnen der Papst als „Gott auf Erden“ dargestellt wurde, wagten sie keinen Protest. Was hätten die einfachen Bauern auch entgegnen sollen, wenn das Papsttum sich anmaßte, das religiöse Leben des Einzelnen nach seinem Gutdünken und vor allem Vorteil zu bestimmen? Die Kirche stützte sich auf die Bibel und Autorität Gottes – zumindest behauptete sie das.
Hier konnten die Reformatoren einhaken: Sie führten das Schwert des Bibelwortes, was darin gipfelte, die Prophezeiungen Daniels im Papsttum erfüllt zu sehen. Diese dramatische Feststellung, den sich als irdischen Gott bezeichnenden Papst Jesu Feind, ja Antichristen nennen, forderte alle, die es hörten oder lasen, zu einer Prüfung und Entscheidung heraus.
„Er wird den Höchsten lästern und die Heiligen des Höchsten vernichten und wird sich unterstehen, Festzeiten und Gesetz zu ändern.“ Daniel 7, 25
Viel mehr als heute, war die Frage der Erlangung des ewigen Heils angesichts des irdischen Jammers entscheidend für die einfachen Menschen. Nur so ist es vorstellbar, dass die Ärmsten der Armen derartige Summen für den Bau eines kirchlichen Prachtbaus aufbrachten, der noch heute die zweitgrößte christliche Kirche der Welt ist. Sie spendeten ja nicht für ein päpstliches Statussymbol, sondern glaubten sich Gottes Gnade zu erkaufen.
Die heuchlerischen Geistlichen in ihrem Machtstreben und ihrer Gier hatten diese Sorge um ihr ewiges Heil offenbar weniger. Sie waren schon in der Gegenwart recht glücklich und verspürten nicht die Sehnsucht nach einem besseren Leben im Jenseits. Hier trifft ein Bibelwort aus Matthäus 23,13:
„…Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht hinein und die hineinwollen, lasst ihr nicht hineingehen.“
Mit ihrer unbiblischen Darstellung des Evangeliums, der Lehre der Werksgerechtigkeit und im speziellen dem Ablasshandel, verschloss das Papsttum vor den suchenden Menschen den Weg zur Ewigkeit. Die Reformatoren sahen eindeutig die Erlösung der Anhänger Roms in Gefahr. Auch wenn sie nicht generell alle Katholiken verdammten, so war doch zumindest eine theologische Kurskorrektur angezeigt. Diese hätte sich theoretisch innerhalb des Papsttums vollziehen können. Die Kirchengeschichte zeigt, dass dies nicht der Fall war.
Die Reformation hätte ein Segen innerhalb der katholischen Kirche sein können.
Ich sprach von zwei Problemfeldern des Papsttums, der Bibelauslegung und dem Lebensstil. Dabei frage ich mich, ob schon einer der beiden Schwachpunkte zur Reformation geführt hätte. Können wir von einem unglücklichen Zusammentreffen in einer historisch schwierigen Epoche reden? Ist das Papsttum da in irgendetwas hineingeschlittert, wofür es nicht die Verantwortung trägt?
Ist es möglich, einer missbräuchlichen, bewusst den eigenen Vorteil suchenden Bibelauslegung einen vorbildlich christlichen Lebenswandel gegenüberzustellen? Ich behaupte: Wer einen christlichen Lebenswandel in der Nachfolge Jesu sucht, wird in der Bibel nach der Wahrheit suchen und diese von Gottes Geist geleitet auch erkennen. Da die Bibel das eigentliche theoretische Fundament des kirchlichen Lehrens und Lebens ist, kann auf einem brüchigen Fundament kein gesundes Gebäude entstehen. Das Ringen um ein sicheres Bibelfundament war der Dienst der Reformatoren. „Allein durch den Glauben“ – „Allein durch die Gnade“ – „Allein Christus“ – „Allein durch die Schrift“ sind die Schlüsselworte der Reformation und Wegweisung bis heute.
Ich versuche, mir die spätmittelalterliche Kirche als ein demütiges christozentrisches Papsttum mit einer vorbildlichen Geistlichkeit im Dienste der Nächstenliebe vorzustellen – ähnlich dem Bild der ersten christlichen Gemeinde aus Apostelgeschichte 2,42-47. In so einer Kirche erkannte plötzlich der Theologe Luther gravierende Irrtümer in der Lehre. Welch ein Segen für seine Kirche, dass sie auf ihre Fehldeutungen und Missverständnisse aufmerksam gemacht wurde! Welch eine Freude, endlich das befreiende Evangelium richtig verstehen zu dürfen! Luther wäre vom Papst persönlich von Stadt zu Stadt geschickt worden, um die biblische Botschaft der fehlgeleiteten, aber aufrichtigen Geistlichkeit zu verkündigen.
Das Wissen um die tatsächliche Geschichte lässt uns angesichts dieser Vorstellung schmunzeln. Aber wäre es nicht genau das, was sich die Welt wünschen würde: ein Christentum in Eintracht auf der Wahrheit der Bibel begründet – so wie es Jesus für seine Nachfolger erbat:
„Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit. Wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt. Ich heilige mich selbst für sie, damit auch sie geheiligt seien in der Wahrheit.
Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.“ Johannes 17, 17-21
Reformatoren als Wegweiser
Ich finde es wunderbar, dass die reformatorischen Schriften nicht allein eine Aufdeckung der päpstlichen Missstände und Irrtümer sind, sondern den suchenden Menschen eine biblisch fundierte Alternative anbieten. In der „Verteidigung des Augsburger Bekenntnisses“ („Apologia Confessionis Augustanae“) heißt es im erwähnten Artikel VII weiter:
„Und wir bekennen doch auch, dass solange dieses Leben auf Erden währt, viele Heuchler und Böse in der Kirchen seien unter den rechten Christen, welche auch Glieder sind der Kirche, sofern es äußerliche Zeichen betrifft. Denn sie haben Ämter in der Kirche, predigen, reichen Sakramente und tragen den Titel und Namen der Christen. Und die Sakramente, Taufe, usw., sind darum nicht ohne Wirkung oder Kraft, dass sie durch Unwürdige und Gottlose gereicht werden. Denn um des Berufs willen der Kirche sind solche da, nicht für ihre eigene Person, sondern als Christus, wie Christus zeugt: „Wer euch höret, der höret mich.“ Also ist auch Judas zu predigen gesendet. Wenn nun gleich Gottlose predigen und die Sakramente reichen, so reichen sie dieselben an Christus‘ Statt. Und das lehrt uns das Wort Christi, dass wir in solchem Fall die Unwürdigkeit der Diener uns nicht sollen irren lassen.“
Im Wirken der Reformatoren erkennen wir Liebe und Verantwortung für die einfachen Menschen. Es wird nicht zur Revolte aufgerufen. Im Gegenteil, biblisch begründet wird sogar das Wirken einer von der Wahrheit abgefallenen Geistlichkeit anerkannt. Das ist zum Einen ein großer Trost im Blick auf das vergangene Christsein des Einzelnen, aber auch Ausblick für jene, die in dieser Umbruchphase nicht sofort eine neue geistliche Heimat in einer lutherischen Gemeinde finden.
Damals wie heute stellt sich für viele Menschen die Frage nach der richtigen Gemeinde. Melanchthons Antwort bleibt aktuell:
„Darum sagen und schließen wir nach der Heiligen Schrift, dass die rechte christliche Kirche sei der Haufe hin und wieder in der Welt derjenigen, die da wahrlich glauben dem Evangelio Christi und den Heiligen Geist haben.“
Der Glaube an das Evangelium ist die biblische Lehre, die nichts dazu tut und nichts weg tut Offenbarung 22,18.19. . Der Heilige Geist zeigt sich in einem Glaubensleben in der Nachfolge Jesu, gemäß Matthäus 7,20: „Darum: an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“Diese einfach klingenden Kriterien dürfen auch heute Richtschnur für unsere christlichen Gemeinden und das persönliche Christenleben sein.
Was hat es Luther und seinen Mitstreitern eingebracht, eine Erklärungsschrift nach der anderen zu verfassen und Ächtung, Verfolgung und Todesandrohung auf sich zu nehmen? Ihre päpstliche Kirche konnten sie nicht reformieren, sondern vielmehr die gesamte Christenheit! Sich für eine gute Sache zu engagieren, bringt viel mehr ein als Geld, Ansehen oder Einfluss. Das Wirken der Reformatoren gründet sich in der tiefen Evangeliumsfreude, ähnlich wie im 1.Johannesbrief: „Und das schreiben wir, damit unsere Freude vollkommen sei.“ (Vers 4). In meinem zu Grunde liegenden Text klingt das so:
„Allein wir müssen herhalten, derhalben, dass wir Christus‘ Wohltat preisen und hoch heben und die klaren Worte und Lehre der Apostel schreiben und predigen, nämlich dass wir Vergebung der Sünden erlangen durch den Glauben an Jesum Christum …“.
Das Papsttum hat die Kritikpunkte der Reformatoren nicht wohlwollend geprüft und bis heute ihr Lehrgebäude nicht grundlegend geändert. Mich hat Melanchthons Schrift auch bewegt, in der Textbetrachtung nicht ausschließlich im Spätmittelalter stehenzubleiben. Das Papsttum existiert noch und alle Welt blickt gespannt und fasziniert auf den neuen Papst Franziskus. Ist das evangelische Bekenntnis aus dem Spätmittelalter noch aktuell? Das Ablasswesen wird immer noch praktiziert und ist im Internet detailliert nachzulesen!
In Zeiten der Ökumene ist die protestantische Seite vorsichtig geworden und fände die Wortwahl Luthers und Melanchthons vermutlich unpassend. Auf eines können wir uns aber sicher gründen: den Glauben an das Evangelium Jesu Christi und die Anwesenheit des Geistes Gottes. Ich finde es aber interessant, dass auch heutige Pfarrer/innen auf diese Bekenntnisschriften verpflichtet werden.
Die Reformation in der Christenheit ist damals wie heute ein Angebot, sich zu prüfen und wenn nötig, zur Korrektur bereit zu sein – ob als einzelner Christ oder als Gemeinde. Fehler, Missstände und Irrtum zu erkennen, ist immer nur der Anfang, der einen noch zu gehenden Weg kennzeichnet.
Reformatoren sind keine Revolutionäre. Aus Liebe und Verantwortung gegenüber ihren Mitchristen und Gemeinden bemühten sie sich engagiert und mit biblisch fundierter Argumentation um die Berichtigung von Fehlern in der Lehre und der Glaubenspraxis. Doch als ihre vom rechten Wege abgekommenen Gemeinden ihnen keine geistliche Heimat mehr sein konnten, als sie ausgestoßen und verfolgt wurden, entstand die Notwendigkeit einer neu organisierten Gemeinde. Ich finde es wunderbar, wie Gott immer wieder in der Geschichte Möglichkeiten schenkte, dass sich aufrichtig nach Wahrheit suchende Christen zusammenfanden. Dieses Prinzip Gottes ließ zunächst die protestantische Kirche und letztlich auch unsere Glaubensgemeinschaft, die Internationale Missionsgesellschaft der Siebenten-Tags-Adventisten, Reformationsbewegung, entstehen.
„Die Waldenser, die Hugenotten, Wiklif und Hus, Hieronymus und Luther, Tyndale und Knox, Zinzendorf und Wesley nebst zahllosen andern haben für die Macht des Wortes Gottes gegenüber menschlicher Kraft und Klugheit, die das Böse verteidigte, gezeugt. Diese alle bilden das wirkliche Adelsgeschlecht der Welt, ihren königlichen Stammbaum. Die Jugend von heute ist berufen, diese Linie fortzusetzen.“ (E.G. White, Erziehung, S. 234)
E.G.White charakterisiert die schwedischen Reformatoren Olaus und Lorenz Petri mit Worten, die auch uns heute nahegehen mögen:
„Beide waren Männer von glühender Frömmigkeit, vorzüglichen theologischen Kenntnissen und unerschütterlichem Mut bei der Verbreitung der Wahrheit.“ (E.G. White, Der gr. Konflikt, S. 243)
Ich wünsche mir, in unserem persönlichen Glaubensleben ebenso ein klares Bekenntnis zu haben wie die Reformatoren und es stichhaltig gegen Widerstände verteidigen zu können, ob diese sich in Zweifeln, neuen Ideen, Anfeindungen oder auch Spott zeigen.